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Dass ich mal Eisenbahner war, konnte Otto nicht wissen, und auch nicht, dass wir jedes Jahr in den Tagen nach Weihnachten unsere Modellbahn aufbauen. Dann aber streifen wir zufällig das Thema und als er von meiner Leidenschaft für die Räder auf Schienen erfährt, lädt er mich ein, mit ihm seine ‚heilige Welt‘ zu betreten.
Diese Welt ist über eine schmale Treppe erreichbar, die in einen kleinen Raum oben unter dem Dachfirst seines Hauses führt. Aufrecht stehen ist hier nur noch in der Mitte des Raumes möglich. Aber das ist auch gar kein Problem, weil rundherum alles, was unterhalb der Dachschrägen liegt, bebaut ist - mit einer wunderschönen kleinen Modellbahnanlage.
Natürlich führt mir Otto den Bahnbetrieb vor und ist begeistert, wenn meine Fragen ihm zeigen, dass ich auch ein davon verstehe. Alles verstehe ich aber nicht und frage deshalb nach. Zum Beispiel der Bahnhof in der Mitte der Anlage. Der fällt zum einen durch seine Form auf – ein Gebäude zwar, aber deutlich in drei Abschnitte geteilt. Und er fällt auf durch seinen Namen: AnJoLi, wobei das A, das J und das L großgeschrieben sind.
"Ein handelsüblicher Modellbausatz ist das nicht, oder?" – Otto nickt: "Alles selber gemacht. Und ja, dreiteilig, AnJoLi eben." Er schaut mich mit einem verschmitzten Lächeln an, aber bei mir fällt der Groschen erst, als er mir auf die Sprünge hilft: Na, die Enkeltöchter! Und jetzt verstehe ich: Anna, Josefa und Lilli hat er mit diesem Bahnhof auf seiner Modellbahnanlage ein Denkmal gesetzt.
Die drei jungen Frauen sind gerade auf dem Sprung ins Leben sind. Und was könnte da besser passen als ein Bahnhof, von dem man aufbricht - und an dem man ab und zu auch nochmal wieder nach Hause kommt.
Dann rollt der Zug weiter und hält am Ende vor einem großen Bauernhof. "Fritzhof" steht über dem Eingangsportal und ich ahne nun schon, dass es auch mit diesem Hof damit etwas Besonderes auf sich hat. Und dann erzählt er mir von Fritz, seinem besten Freund, der so gerne Landwirt geworden wäre, aber dann ein Handwerk lernen musste. "Der hat auch später noch davon geträumt, wie schön es gewesen wäre, wenn er damals Bauer hätte werden können. Diesen Wunsch habe ich ihm erfüllt. Er hat jetzt seinen eigenen Hof, wenigsten hier auf meiner Modellbahnanlage." Und dann lächelt Otto wieder verschmitzt und wir fahren noch eine Runde.
Als ich eine dreiviertel Stunde später das Haus verlasse, weiß ich wieder, dass Freundschaft und Liebe nicht immer große Worte brauchen. Manchmal ist es viel eindrücklicher, kleine Zeichen zu setzen. Dann kann sogar eine Modellbahnanlage zu einer wundervollen Liebeserklärung werden. Ich muss sie nur sehen und verstehen.
Es gilt das gesprochene Wort.