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"Kein Vaterunser"
Wie das bekannteste Gebet des Christentums ganz anders klingen kann
26.11.2024 06:20

 "Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern." Die Bitte aus dem Vaterunser ist eine Zumutung, wenn einem Unrecht und Leid angetan wurde. 

 
Sendung zum Nachlesen

Das Vaterunser ist das älteste und bekannteste Gebet des Christentums. Es steht immer zur Verfügung. Wenn mir die Worte fehlen, in der Dunkelheit meiner Not: Die alten Worte sind immer da. Doch manchmal reichen auch sie nicht aus.

Kein Vaterunser

Möchte ich sprechen

Und auch nicht vergeben

Den Schuldigern

Die Lyrikerin Carola Moosbach beginnt mit diesen Worten das Gedicht "Kein Vaterunser". Sie tastet Wort um Wort ab, Zeile für Zeile. Auch diese Bitte im Vaterunser: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsren Schuldigern." Das mit dem Vergeben, es kann ihr nicht gelingen.

Carola Moosbach hat sich mit ihrer Lyrik wieder ins Leben zurück gedichtet. Schlimme Last hatte sie zerbrochen, seelisch wie körperlich. Was bleischwer auf ihr lag, löste sich erst langsam, als sie dem Leid Worte gab: Ihr Vater hatte sie immer wieder missbraucht. Klage- und Rachepsalmen sind ihre Gedichte. Sie sind Aufstandsgebete. Anklage gegen den Täter. Schmerzschreie gegen den Himmel. Manchmal, da klingt ein Gehaltenwerden durch, erstaunlich. 

Die Gedichte von Carola Moosbach sind kostbar, vor allem unter denen, die selbst sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Weil Moosbach Worte findet, wo Schmerz alles auszufüllen scheint und für eigene Worte kein Platz ist. Nur für Schmerz und Scham und Wut.

Erzählt mir nichts

Von Vergebung

Diese Gedichte sind enorm wichtig für eine Kirche, die sich ihrer Schuld stellt im Umgang mit Tätern sexualisierter Gewalt und die eine verantwortungsvolle Sprache finden will, die den Betroffenen erträglich ist. 

Erzählt mir nichts

Von Vergebung

Erzählt mir von Gottes

Gerechtigkeit

Das Vaterunser, oft ohne Anstrengung gesprochen, fordert mir alles ab, wenn ich es mitgehe mit Carola Moosbach, die mit jeder Zeile hart ringt, wirklich hart.

Ach käme doch endlich

Dein Reich Gott

Geschähe doch endlich Dein Wille

Nicht der meines Vaters

Das Kind das gequälte

Das ich einmal war

Braucht deinen Schrei

Und braucht deinen Zorn

Wie das täglich Brot

Das Brot der Gerechtigkeit

Bewahre mich Gott

Vor der Scham

Der täglichen Schweigeversuchung

Amen, möchte ich da sagen. Dein Wille geschehe, das täglich Brot, die Versuchung. Die bekannten Zeilen - in völlig neuem Licht. Ein Aufstandsgebet, das in die Wut führt und in die Kraft, nicht aufzugeben. Wo das biblische Vaterunser schließt mit " Reich und  Kraft und  Herrlichkeit in Ewigkeit", einer tiefen Verneigung vor dem Höchsten, klingt es bei Carola Moosbach  vorsichtiger. Gerade das berührt mein Herz. Auch dazu: Amen.

Du bist das Ende

Der Ohnmacht

Der Grund

Meiner Hoffnung

Ein Windhauch des Glücks.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literatur zur Sendung:

  1. Carola Moosbach: Bereitet die Wege. Poetische Kommentare zu Bachs geistlichen Kantaten. 2012, Strube Verlag München.

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