"Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern." Die Bitte aus dem Vaterunser ist eine Zumutung, wenn einem Unrecht und Leid angetan wurde.
Sendung zum Nachlesen
Das Vaterunser ist das älteste und bekannteste Gebet des Christentums. Es steht immer zur Verfügung. Wenn mir die Worte fehlen, in der Dunkelheit meiner Not: Die alten Worte sind immer da. Doch manchmal reichen auch sie nicht aus.
Kein Vaterunser
Möchte ich sprechen
Und auch nicht vergeben
Den Schuldigern
Die Lyrikerin Carola Moosbach beginnt mit diesen Worten das Gedicht "Kein Vaterunser". Sie tastet Wort um Wort ab, Zeile für Zeile. Auch diese Bitte im Vaterunser: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsren Schuldigern." Das mit dem Vergeben, es kann ihr nicht gelingen.
Carola Moosbach hat sich mit ihrer Lyrik wieder ins Leben zurück gedichtet. Schlimme Last hatte sie zerbrochen, seelisch wie körperlich. Was bleischwer auf ihr lag, löste sich erst langsam, als sie dem Leid Worte gab: Ihr Vater hatte sie immer wieder missbraucht. Klage- und Rachepsalmen sind ihre Gedichte. Sie sind Aufstandsgebete. Anklage gegen den Täter. Schmerzschreie gegen den Himmel. Manchmal, da klingt ein Gehaltenwerden durch, erstaunlich.
Die Gedichte von Carola Moosbach sind kostbar, vor allem unter denen, die selbst sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Weil Moosbach Worte findet, wo Schmerz alles auszufüllen scheint und für eigene Worte kein Platz ist. Nur für Schmerz und Scham und Wut.
Erzählt mir nichts
Von Vergebung
Diese Gedichte sind enorm wichtig für eine Kirche, die sich ihrer Schuld stellt im Umgang mit Tätern sexualisierter Gewalt und die eine verantwortungsvolle Sprache finden will, die den Betroffenen erträglich ist.
Erzählt mir nichts
Von Vergebung
Erzählt mir von Gottes
Gerechtigkeit
Das Vaterunser, oft ohne Anstrengung gesprochen, fordert mir alles ab, wenn ich es mitgehe mit Carola Moosbach, die mit jeder Zeile hart ringt, wirklich hart.
Ach käme doch endlich
Dein Reich Gott
Geschähe doch endlich Dein Wille
Nicht der meines Vaters
Das Kind das gequälte
Das ich einmal war
Braucht deinen Schrei
Und braucht deinen Zorn
Wie das täglich Brot
Das Brot der Gerechtigkeit
Bewahre mich Gott
Vor der Scham
Der täglichen Schweigeversuchung
Amen, möchte ich da sagen. Dein Wille geschehe, das täglich Brot, die Versuchung. Die bekannten Zeilen - in völlig neuem Licht. Ein Aufstandsgebet, das in die Wut führt und in die Kraft, nicht aufzugeben. Wo das biblische Vaterunser schließt mit " Reich und Kraft und Herrlichkeit in Ewigkeit", einer tiefen Verneigung vor dem Höchsten, klingt es bei Carola Moosbach vorsichtiger. Gerade das berührt mein Herz. Auch dazu: Amen.
Du bist das Ende
Der Ohnmacht
Der Grund
Meiner Hoffnung
Ein Windhauch des Glücks.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur zur Sendung:
- Carola Moosbach: Bereitet die Wege. Poetische Kommentare zu Bachs geistlichen Kantaten. 2012, Strube Verlag München.
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