Morgenandacht
Nägel mit Köpfen
28.06.2016 06:35

Mach Nägel mit Köpfen, Gott,

aus deinen Sprüchen.

Klopf nicht auf deinen brennenden Busch.

Lass mich auf weitem Raum

nicht im Regen stehen.

LEBENDIGER

Im Labyrinth täglicher Tode,

gib grünes Licht der

JUSTICE-ROAD.

Bleib Straßenlaterne.

Lass Wegwarten blaue Geduld

atmen.

Und den, den ich liebe,

und den, den ich hasse,

auch.

 

1997 habe ich dieses Gedicht für einen Kirchentag in Leipzig geschrieben. Damals waren manche Hoffnungen, die in mir mit der vereinten Bundesrepublik gewachsen waren, einer Ernüchterung gewichen. Eine Welle unerwarteter Ausländerfeindlichkeit lag hinter uns. Rostock. Hoyerswerda. Mölln. Labyrinthe täglicher Tode. Die Menschenmassen, die in der Wendezeit die Kirchen als Kraftorte aufgesucht hatten, hatten sich verkrümelt. Kolleginnen und Kollegen, besonders im ländlichen Raum Mitteldeutschlands, stöhnten über die Anzahl kunsthistorisch bedeutsamer Kirchen. Was soll mit ihnen geschehen, wenn sie nicht mehr aufgesucht werden? „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Die Einladung steht. Aber was, wenn dieser Satz Jesu heute ungehört verhallt?

 

Mach Nägel mit Köpfen, Gott! Nur – wie soll ER das allein schaffen?

 

Menschen, die sich genau dieser Frage stellten, habe ich in der kleinen anhaltischen Kirche rund um Zerbst, Köthen und Coswig getroffen. Sie haben sich entschlossen, ihre einsamen Kirchen nicht zu betrauern, sie nicht zu verschließen, sondern sie stattdessen weit zu öffnen. ENT-SCHLOSSENE KIRCHEN, nennen sie ihre Aktion, die seit 2005 läuft.

 

Was das heißt, erfährt man, wenn man sich auf den Weg dorthin macht. Sogenannte Themenkirchen sind in den Gotteshäusern entstanden. An und in der „Osterkirche“ von Trüben zum Beispiel wird man durch Installationen und Gemälde des Köthener Künstlers Steffen Rogge mitgenommen auf einen Weg vom Einzug Jesu in Jerusalem bis hin zum Osterfest. In der ehemaligen Leichenhalle gibt es eine lebensbejahende Abendmahlsdarstellung mit Gesichtern, die in den Dörfern auftauchen könnten. An das Wandgemälde ist ein verlängerter Tisch angebaut, an den Besucher eingeladen werden, etwas zu essen und zu trinken. „Kommt, denn es ist alles bereit!“

 

Ich spreche mit der Kunsthistorikerin, die das Team der Entschlossenen Kirchen fachkundig begleitet. Wie wird die Aktion in den Dörfern angenommen? Sie lacht und sagt: na zumindest sind die Kirchen wieder im Gespräch. Touristen, auch Schulklassen kommen gern und können ohne Eile , ohne sich beobachtet zu fühlen, mit sich oder Gott ins Gespräch kommen.

 

Manche der Einheimischen müssen sich an die Umgestaltung ihrer Kirchen gewöhnen, fügt die Frau hinzu. Aber dann erkläre ich ihnen, dass Kirchengebäude wie ein Garten sind. Wird der nicht hin und wieder umgegraben und frisch gedüngt, geht er ein.

 

Wir haben überall Gästebücher ausgelegt, sagt sie am Schluss unseres Gespräches. Wenn ich darin lese, weiß ich, dass viele Menschen auf der Suche nach Gott und nach Halt sind. Sie wollen aber frei sein, Gott dann zu besuchen, wenn sie das möchten. Oft mitten im Alltag.

 

Unlängst schrieb die Journalistin Evelyn Finger in einer großen Tageszeitung unter dem Titel „Wer vermisst Gott?“ folgendes: „Die Entchristlichung Europas schreitet voran. Wollen die Kirchen das stoppen, müssen sie aufhören zu jammern. …Sie müssen sich nicht verstecken… sie sollten den Jungen ins Gesicht sagen, warum das Christentum wichtig ist, gerade für die, die nicht an Gott glauben und ihn bloß vermissen“.

 

Das haben die entschlossenen Leute um Zerbst und Köthen herum verstanden. Mir macht das Freude und Mut. Eine grüne Ampel auf dem Weg einer JUSTICE -ROAD.