Ein Sommerabend bei Freunden. Tee aus frischen Minzblättern ist gebrüht. Zwischen Erdbeerschalen und Bücherregalen fühlen wir uns in unserer Runde am richtigen Ort.
Einmal im Vierteljahr treffen wir uns, um über Literatur zu sprechen. Jemand stellt ein Buch vor. Dann tauschen wir uns über das Gelesene aus.
So ein Abend hat mir schon immer gut getan. Doch seit dem letzten Jahr ist er mir kostbar geworden. Ich brauche es, mit Freunden eine Sprache zu teilen, die ein heilendes Gegengewicht zu einer krankmachenden Sprache darstellt. Eine Sprache, die krank macht, taucht immer häufiger in öffentlichen Netzwerken auf, verstärkt auch bei Demonstrationen von PEGIDA, MAGIDA und wie sie alle heißen. Lügenpresse. Gutmensch. Ausländerfreundin . Volksverräter! Geh doch zur Hölle. Häng dich doch selber auf!
Meine Freunde und ich haben uns seit über einem Jahr fast regelmäßig bei Mahnwachen und Demonstrationen für ein tolerantes und weltoffenes Magdeburg getroffen. Wir waren bemüht, gefährdete Inländer und Ausländer zu schützen und Argumente gegen populistische Redebeiträge auf Versammlungen zu finden. Es war ein Kraftakt. Auch ein Kraftakt der Sprache.
Wie haben wir es geschafft, nicht selbst mit Wut und Hassparolen auf das Gehörte und Geschriebene zu reagieren? Durch das Lesen von guten Büchern, ist für mich eine Antwort auf diese Frage. Das Wichtigste für mich sind jedoch die Freunde, mit denen ich sozusagen „Wort an Wort“ leben kann. Dass wir gegenseitig auf unsere Sprache achten und uns korrigieren.
Als Christen leben einige von uns mit einem besonderen Lebensmotto im Kopf. Eltern oder Großeltern, Pfarrer oder Jugendmitarbeiter haben uns bei der Taufe oder der Konfirmation, bei der Hochzeit oder einer Segenshandlung einen Spruch aus der Bibel mit auf den Weg gegeben. Darüber reden wir normalerweise nicht.
Aber am letzten Leseabend haben wir es gewagt. Interessant, was dabei herauskam.
Einer beginnt mit seinem Taufspruch aus Psalm 91. „ Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott auf den ich hoffe.“
Starke Sprache, denke ich. Und der Freund kommentiert seinen Taufspruch und sagt: Ich hatte lebenslang ein schützendes Versteck unter diesem Schirm.
Meine Mutter ist aus der Kirche ausgetreten, fährt eine Freundin fort. Sie hat mich trotzdem immer an meinen Taufspruch erinnert. Kurz vor ihrem Kirchenaustritt suchte sie ihn für mich aus. Der Satz wurde zuerst Abraham gesagt: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ Diese Worte sind mir wichtig geworden.
Mir auch, denke ich. Segen ist ein Schutz gegen Fluch. Auch gegen den Fluch in der Sprache.
So geht es die Freundesreihe entlang. Wir spüren, dass wir Worte nicht auf die leichte Schulter nehmen wollen. Dass wir anderen das Wort nicht im Mund herumdrehen sollen . Dass wir nicht wortbrüchig werden. Dass wir unseren Kindern und Enkeln nahe bringen möchten, dass Worte leben lassen oder töten können. Dass sie Welten erschaffen können, wie es die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt. Erde und Himmel entstehen dort aus dem Wort, den Gedanken Gottes.
Es stimmt nicht, dass wir uns das nicht vorstellen könnten.
Auch unsere persönliche Alltagswelt entsteht oder verändert sich durch ein Wort zur rechten Zeit. Ich liebe dich, sagt einer. Eine andere am Telefon : entschuldige bitte. Ich habe dir weh getan.
Plötzlich können wir wieder durchatmen. Arbeiten. Beten. Laut Musik aufdrehen. Tanzen. Und einem, der uns Gutmensch oder Kanakenfreund nennt, zurufen: ich verstehe nicht, was du damit meinst. Deine Sprache verzerrt dein Gesicht. Versuche doch, menschliche Vokabeln zu lernen.