Mich interessieren spannende Geschichten. Wie Liebende einander kennenlernten, zum Beispiel …Warum gerade der oder die? Warum nenne ich gerade diesen Mann meinen Lieblingsmenschen, mit dem ich aufwachen und einschlafen will? Solche Geschichten haben Unerklärbares in sich. Wie Glaubensgeschichten.
Warum glaubt der eine und der andere nicht? Diesen Fragen ist die Themenwoche der ARD im Frühsommer dieses Jahres nachgegangen.
Und ich selbst habe solche Fragen gestellt. An Menschen in Magdeburg und darüber hinaus. Ich wollte wissen, welche Wünsche sie an die Kirche von heute und morgen haben. Ich hörte mich bei Christen und Nichtchristen um, bei Menschen aller Altersstufen und aus verschiedenen sozialen Gruppen.
95 Menschen habe ich befragt – und auch 95 Antworten bekommen. Das hat mich positiv überrascht. Denn die meisten der Befragten kommen aus dem sogenannten ‚gottlosen Osten‘ Deutschlands. Die Antworten zeigen mir alles andere als Gottlosigkeit. Als Magdeburgerin wollte ich das ohnehin nie glauben. Und was heißt das denn überhaupt: gottlose Räume?
Ist Gott nicht mehr da, wenn sei Name nicht mehr in den Mund genommen wird? Macht er sich davon, wenn Gottesdienste nur von wenigen besucht werden? Wohin sollte Gott entschwinden?
Sehnsucht prägt die Wünsche meiner Befragten. Sie wollen eine Kirche, die glaubwürdig und verständlich von Gott und der Welt redet. Eine Kirche, die sich nicht zuerst um sich selbst dreht, sondern um die, für die sie da ist. Die also zum Beispiel darauf reagiert, wenn Kinderarmut unter uns zunimmt. Die Menschen Mut macht und Kritik zulässt. Die hin und wieder den Mund hält. Und nur dann Amen sagt, wenn sie auch zustimmen will.
Viele beklagen, dass ihnen die Kirchensprache fremd geworden ist. Dass sie Übersetzungshilfen brauchen für Worte wie „Gnade“, „Barmherzigkeit“, „Rechtfertigung“ oder „Allmacht“. Und wer oder was ist gemeint, wenn von Gott geredet wird?
Mich bewegt die Vielfalt, Tiefe und Originalität der 95 Wünsche, die ich gesammelt habe. 95 sollten es sein, wie bei Luther vor 500 Jahren. Und genauso ernst will ich sie auch nehmen. Deshalb nenne ich sie lieber Thesen.
Fünf habe ich für die Morgenandachten in dieser Woche ausgesucht. Denn Thesen gehören unters Volk. Wünsche sollen keine frommen Wünsche bleiben, sondern zu konkreten Schritten führen.
Wie dieser Wunsch einer jungen Lehrerin aus einem Gymnasium.
ICH WÜNSCHE MIR EINE KIRCHE, DIE DIE GÖTZEN UNSERER ZEIT BEIM NAMEN NENNT UND KEINE FURCHT HAT, PROPHETISCH ZU REDEN, ANZUKLAGEN UND ZU HANDELN.
Was meinen Sie mit den Götzen, frage ich am Telefon nach. Können Sie mir das konkreter sagen? Kann ich, lacht sie. Zuerst fällt ihr das Geld ein, der Mammon, von dem Jesus in der Bergpredigt spricht. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt.6), sagt er doch unmissverständlich.
Diskutieren wir ausreichend darüber, welche Rolle das Geld spielt, dann, wenn wir es haben und dann, wenn es uns oder anderen fehlt? Entwickeln wir aus dem christlichen Glauben heraus noch Visionen gegen einen ausbeuterischen Kapitalismus? Ich vermisse das, sagt sie leise.
„Auch der Leistungsdruck unter dem meine Schüler stehen, ist für mich ein Götze“ fügt die Lehrerin hinzu. Wo haben Kinder und Jugendliche bewertungsfreie Räume, in denen sie frei von Leistungsdruck lernen und gestalten können? Der Religionsunterricht sollte so ein Raum sein. Er ist es nicht, weil auch Religion benotet wird. „Da bekomme ich Bauchschmerzen“ gesteht die Lehrerin.
Die junge Frau hat recht. Ihre Wünsche müssen unter die Leute, in staatliche und kirchliche Parlamente, in unsere Familien. Über Geldgier, Geldnot und Leistungsdruck ist zu reden. Gerade jetzt in der Sommerpause ist ein guter Zeitpunkt dafür. Die Gedanken sind freier und der Himmel steht offen.