Je suis Charlie! Je suis Orlando! Je suis – St. Petersburg? Nein. Doch, vielleicht ein bisschen, aber nicht so sehr. Schade. Nein – ein Skandal, meinten diese Woche viele Menschen und beschwerten sich beim Berliner Senat, warum das Brandenburger Tor nicht in den russischen Nationalfarben erleuchtet wurde: Es war immerhin ein Terroranschlag. 14 Tote und 50 Verletzte. Da gehört Solidarität gezeigt. Ab zehn Toten nämlich. Oder reichen acht? Und: Solidarität gebe es wohl nur für Nato-Partner?, fragen die Kritiker. Kleingeistigkeit wurde dem Regierenden Bürgermeister vorgeworfen und mangelnde Empathie.
Die Antwort des Senates, farbliches Mitgefühl nur noch zeigen zu wollen, wenn es Partnerstädte Berlins betrifft, wirkte doch arg hilflos.
Aber wie umgehen mit der Frage, ab wann man ein Zeichen setzen soll?
Ja – öffentliche Gebäude haben in jeder Hinsicht Strahlkraft. Als ich den Eifelturm in schwarz-rot-gold gesehen habe, hat es mich schon berührt. Ich habe mich gemeint gefühlt. Und solche Zeichen möchte ich, dass mein Land sie auch in die Welt sendet!
Aber wie würde ich entscheiden? Welche Opfer sollen öffentlich betrauert werden? Diese Woche zum Beispiel?
Die in St. Petersburg natürlich. Aber quasi andauernd die in Syrien. Gerade wieder in Idlib. Die Bilder von den Menschen gingen durch die Medien, die sich hustend mit Plastiktüten vor dem Mund auf einer Pritsche krümmen. Giftgasopfer. Hyperventilierend. Wer weiß die genaue Zahl? 72? Darunter viele Kinder. UNICEF spricht von herzzerreißenden Bildern.
Oder die vielen Toten im Mittelmeer? Werden sie überhaupt nicht mehr gezählt? Weil es so wahnsinnig hilflos macht? Und was würde noch schockieren? 5? 25?250?
Solche Zahlen erregen kaum noch Gemüter – und provozieren keine Illumination.
Empathie: aufgebraucht. Tank: leer. Oder wie?
Man kann Empathie nicht herstellen. Selbst wenn der Verstand sagt: Das darf doch nicht sein. Die Ohnmacht erschlägt das Mitgefühl als letzte Regung. Also delegieren wir sie gern, z.B. an den Berliner Senat. Soll der doch zeigen, dass wir solidarisch sind. Irgendwie.
Nein: Mitgefühl lässt sich auch nicht delegieren. Es ist persönlich. Veränderlich. Es ist radikal subjektiv. Es kann wachsen von einer Sekunde auf die andere. Es kann verschwinden. Vor allem aber ist es eine Bewegung. Meine eigene. Es ist Kontakt. Beziehung zu konkreten Menschen.
Die bewegt etwas in mir. Zeigt, dass ich noch nicht abgestorben bin. Sondern dass mein Herz noch schlägt. Und diese Bewegung ist mir heilig.
Der will ich nachgehen. Sonst verkümmere ich. Mitgefühl muss fließen können, sonst staut es sich und fault und gärt an der falschen Stelle.
Es soll Raum bekommen. Das ist gesund. Dann ertrage ich es auch, wenn es andernorts mal nicht fließt.
Ein gutes Beispiel gibt mir die junge Frau, von der ich diese Woche gelesen habe. Eine Jura-Studentin aus Berlin. Sie engagiert sich in einem Verein, der Geflüchteten in Rechtsfragen beisteht. Sie ist gerade auf einer der griechischen Inseln, auf Chios. Sie berät Menschen, die dort anstranden.
Syrer z.B., die auf ihrer Odyssee nun auch aus der Türkei geflohen sind. Und die Schreckliches berichten. Die junge Frau bereitet sie auf die Gespräche im Rahmen des Asylverfahrens vor. Sie sagt, worum es geht und was ihre Rechte sind. Denn woher sollen sie das wissen.
Diese junge Frau, Donata heißt sie, geht aufrecht, klar und selbstbewusst ihren Weg. Sie ist Juristin, also berät sie in Rechtsfragen. Sie tut, was sie gut kann. Wohlwissend, dass sie keinen Applaus dafür erwarten kann.
Tu, was du gut kannst. Setz deine Potentiale ein. Da, wo dein Mitgefühl sitzt, da geht dein Weg lang. Aber geh ihn auch! Nüchtern und pragmatisch. So lerne ich es von Donata.
Ob man nun Rosen dafür bekommt oder Schelte. Ob die Masse „Hosianna“ ruft oder „kreuzige“. Wer mitfühlt, ist in bester Gesellschaft.
Bis acht Uhr können sie mit mir darüber reden, welchen Weg sie wählen. Ich bin zu erreichen unter 030 – 325 321 344. Oder diskutieren sie mit auf facebook unter deutschlandradio.evangelisch.