Helden, Opfer, Kriegsverbrecher.

Am Sonntagmorgen
Helden, Opfer, Kriegsverbrecher.
Über die Kultur des Gedenkens
15.11.2020 - 08:35
12.11.2020
Jörg Machel
Über die Sendung:

 "Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
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Ich erinnere mich, dass meine Oma in den fünfziger Jahren vor dem Radio saß und die Ansagen des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes verfolgte. Vergebens wartete sie auf eine Nachricht über ihren Sohn Gerhard. Nur soviel wusste sie: Todes- beziehungsweise Vermisstendatum ist der 12. November 1943. Auf dem Weg zur Front sei er mit seiner Truppe in einen Hinterhalt geraten, mehr ist nicht bekannt. Erst 1997, acht Jahre nach dem Tod der Großmutter, bekam mein Vater die Nachricht, dass sein Bruder Gerhard am 5. Februar 1944 auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion verstorben ist. Er war also nicht an der Front gefallen, wie die Familie immer vermutet hatte. Die Gefangennahme hatte er allerdings nur vier Monate überlebt. Seine Grabstelle kennen wir nicht. Mein Onkel Gerhard war neunzehn Jahre als er starb.

Gedenken vor dem Hintergrund unserer Geschichte bleibt ambivalent. Was hat Gerhard in den wenigen Monaten seines Kriegsdienstes in der Sowjetunion erlebt, getan, gesehen? Ein Held war er ganz sicher nicht, ein Opfer in jedem Fall, ob und inwiefern er auch Täter war, ist schwer zu klären.

Mein Nachdenken trifft sich mit Überlegungen, die im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angestellt werden. Wolfgang Wieland, der stellvertretende Präsident des Volksbundes, berichtet über Geschichte, Selbstverständnis und Zielsetzung des Vereins. Zuerst aber wollte ich von ihm wissen, welche biografischen Bezüge er zu diesem Thema hat und ob seine familiäre Biografie der Grund für sein Engagement ist?

 

Wolfgang Wieland:

Bei mir ist es im Grunde deutsches Normalfamilienschicksal. Es gibt Gefallene, aber schon dadurch, dass ich achtundvierzig geboren bin sieht man, dass mein Vater den Krieg überlebt hat. Es gibt diese biografischen Bezüge, aber die waren bei mir nicht das Ausschlaggebende. Bei mir war wirklich mehr das Ausschlaggebende; ich sage es immer mit den Worten des spanischen Philosophen Santa Jana, der hat den schönen Satz geprägt: „Wer das Vergangene vergisst, ist dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben“. Und das ist sozusagen mein Antrieb.

 

Was hat es mit der Geschichte des Volksbundes auf sich, wo sieht er seine Zukunft und gibt es Gefahren, vor denen der Verein sich schützen muss? Als Pfarrer interessiert mich besonders, inwiefern die Kirche herausgefordert ist von einem Tag wie dem heutigen Volkstrauertag. Der Volkstrauertag lässt sich nicht einfach übergehen, aber eignet er sich für christliches Gedenken? Als Name ist mir der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vertraut, aber irgendwie klingt er für mich wie Nachkriegszeit. Dass gerade ein Politiker der Grünen sich dafür engagiert, hätte ich nicht vermutet. Doch Wolfgang Wieland hat gute Gründe.

 

Wolfgang Wieland:

So, und nun saßen wir im August zusammen in Kassel und haben das nächste Dreijahresthema besprochen und das soll eben heißen: „Helden, Opfer, Täter“. Und ich habe einleitend begrüßt als stellvertretender Präsident des Volksbundes und gesagt, da geht es für den Volksbund auch um das Eingemachte. Also eine Frage, die uns immer wieder von außen gestellt wird: Warum pflegt ihr Gräber von Kriegsverbrechern? Und eine Frage, die uns von innen gestellt wird, immer weniger von den Kindern: war mein Vater denn ein Verbrecher? Inzwischen mehr von den Enkeln: war Opa ein Verbrecher? Das wäre in der direkten Nachkriegszeit schwer bis unmöglich gewesen, den trauernden Müttern vor allem sinnvoll mit der Frage zu konfrontieren, ob nun auch individuell ihr gefallener Sohn sich schuldig gemacht hat. Verlangen musste man und hat man auch, dass sie einen Bruch mit dem NS-Regime machen und dass sie eine Verurteilung des Krieges aussprechen, was die meisten ja auch problemlos getan haben.

 

Verstanden habe ich, dass die Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart des Volksbundes ein spannungsreiches Unterfangen ist. Den Traditionalisten ist der Volksbund nicht konservativ genug, den Skeptikern fehlt die Fundamentalkritik an allem Soldatischen. Eine solidarische Nähe zu den Opfern des Krieges und die entschiedene Distanzierung von einer Verharmlosung der deutschen Kriegsschuld erzeugen ein Spannungsfeld, das sich schon bei Gründung des Volksbundes zeigte.

 

Wolfgang Wieland:

Der Volksbund hat einen langen Lernprozess auch durchgeführt, das muss man deutlich sagen. Er hat zunächst auch dem Soldatentod und darum ging es ja primär, er ist nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden. Er ist von sehr honorigen Leuten gegründet worden, unter Schirmherrschaft des damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Das war also tatsächlich so etwas wie eine große Bürgerinitiative, bei der der deutschnationale Teil immer dabei war, aber es waren auch die christlichen Kirchen dabei, es waren die jüdischen Organisationen dabei, Käthe Kollwitz war aktiv beteiligt, das gesamte damals noch demokratische Spektrum der Weimarer Zeit.

 

Für mein Verständnis hat erst die totale Niederlage der Nazidiktatur die Deutschen dazu befreit, einen kritischen Blick auf unsere Geschichte zu werfen. Die Wertschätzung des Militärs gilt geradezu als Kennzeichen des Preußentums. Für meine Generation ist sie kaum noch nachvollziehbar. Für das Vaterland zu kämpfen und gegebenenfalls auch zu sterben, galt über lange Zeit für die Jugend aller Nationen Europas als Pflicht und Ehre.

 

Wolfgang Wieland:

Ja, also der Soldatentod wurde immer überhöht. Sie sind für ein Ideal gefallen. Im ersten Weltkrieg war es noch Gott und der Kaiser. „Gott mit uns“, stand auf der Koppel. Das muss man sich auch wirklich als Christ vorstellen, dass die jungen Leute nach Frankreich geschickt wurden mit der Parole, jeder Stoß ein Franzos, also letztlich um zu töten. Ja, das ist Soldatenhandwerk, um zu töten. Und gleichzeitig beriefen sie sich auf Gott.

 

 

Ein selbstkritischer Blick auf die Rolle der Kirchen bleibt einem also nicht erspart, wenn man sich mit dem Volksbund beschäftigt. Die Feindesliebe, die Jesus predigte, endete damals vor dem Schlachtfeld. Die Kirche lieferte ideologisches Rüstzeug, um die jungen Männer kriegstauglich zu machen. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ (Johannes 15,13) Von solcherlei Predigt war der Volkstrauertag über viele Jahrzehnte seines Bestehens überschattet. Dass dies heute nicht mehr gilt ist wichtig für Wolfgang Wieland bei seiner Arbeit für den Volksbund.

 

Wolfgang Wieland:

In der Nachkriegszeit, ein langsamer Prozess tatsächlich, wo wir von diesem sinngebenden überhöhenden Gedenken zu einem mahnenden Gedenken gekommen sind, was heute von 80% bis 90% unserer Mitglieder auch so getragen wird. Nur zu sagen, wir stehen hier vor diesen Gräbern als Mahnung, dass dies nicht wieder geschieht. Im September haben wir in Halbe eine Einbettung noch machen können, wo Bischof Stäblein gepredigt hat und sehr eindrucksvoll gesagt hat, dass die Seligpreisungen, in der Bergpredigt, im Englischen nicht Friedfertigen, sondern Peacemaker heißt, selig sind die Friedensmacher und das ist die Aufgabe, die wir angesichts dieser Gräberfelder haben, Friedensmacher zu sein.

 

Das Anliegen, mit dem Wolfgang Wieland seine Mitarbeit beim Volksbund begründet, habe ich verstanden. Wie aber steht es um jene, die ein ganz anderes Geschichtsverständnis propagieren, die in der deutschen Schuld nur einen „Fliegenschiss“ in der für sie glorreichen deutschen Geschichte sehen?

 

Wolfgang Wieland:

Die Versuche von Rechtsaußen, unser Gedenken zu entern, gibt es schon lange. Das waren zunächst NPD und Neonazis, wo es zum Teil große Gegendemonstrationen gab wie in Halbe, jahrelang, und man gesagt hat dieser Friedhof und dieses Gedenken ist kein Tummelplatz für Rechtsextremisten. Wir wollen keinen Revanchismus. Wir haben jetzt schon jahrelang in Halbe nicht mehr den Versuch, diesen Friedhof zu vereinnahmen. Jetzt kommt sozusagen diese Einflussnahme oder der Versuch es zu kapern subtiler, in Form von AfD-Aktivisten, die bei uns versuchen Mitglied zu werden. Wenn wir das feststellen, weil das ein bekannter Mensch ist, der schon eine entsprechende Vita hat, dann wird der Aufnahmeantrag abgelehnt, dann wird klar gesagt: die Ziele, für die Sie sich bei der AfD aktiv einsetzen, widerstreben den Zielen des Volksbundes, das ist unvereinbar.

 

Was mich besonders beeindruckt hat und was ich so über den Volksbund nicht wusste, ist sein Versöhnungshandeln mit unseren östlichen Nachbarn. Friedensstifter zu sein, das hat der Volksbund sich zur Aufgabe gemacht.

 

Wolfgang Wieland:

Wenn wir dort, in Russland oder in der Ukraine, auch in Weißrussland ist uns das noch möglich, einen eigenen Soldatenfriedhof eröffnen, dann gehen wir im Prinzip immer erst einmal auf einen früher sowjetischen jetzt ukrainischen oder belarussischen oder russischen Soldatenfriedhof und machen dann dort auch eine Zeremonie, und da wird nach streng militärischem Reglement werden die Kränze niedergelegt. Aber gleichzeitig geht jedes Hochzeitspaar am Tag seiner Heirat mit Hochzeitsgesellschaft vor das örtliche Kriegerdenkmal, weil alle das Bewusstsein haben, ein Teil unserer Familie kann nicht mitfeiern, weil sie tot sind. Das heißt: dieses Gedenken an Krieg, an die Opfer, an die Leiden ist viel mehr verbreitet als in Deutschland. Also wir haben oft den Eindruck, wir sind die letzten, die daran denken als Volksbund und wir machen unsere Jugend- und Bildungsarbeit, damit auch junge Leute überhaupt mal sehen, dass man für Frieden auch kämpfen und was tun muss, dass das nicht selbstverständlich ist.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:
 

1. Soldatenmelodie, Wolf Biermann Ost zu Gast bei Wolfgang Neuss West, Wolf Biermann

2. Great Piano Background Music for Your Business, Steven

12.11.2020
Jörg Machel