Schöpfung ohne Natur?

Am Sonntagmorgen

Gemeinfrei via unsplash/ Angela Benito

Schöpfung ohne Natur?
50 Jahre "Grenzen des Wachstums" vom Club of Rome
27.02.2022 - 08:35
14.01.2022
Stephan Krebs
Über die Sendung:

Immer höher, schneller, weiter - schon 1972 erkannte der Club of Rome, dass Wachstum Grenzen haben muss. Stephan Krebs sagt: "Wie schön würde sich das Leben anfühlen, wenn die eigene Existenz keine Belastung mehr für die Erde wäre."

 
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Immer größere Autos. Immer mehr Elektrogeräte. Natürlich auch mehr Gehalt und mehr Energie. Wachstum - damit lockte das Wirtschaftswunder in den 1950er und 60er Jahren. Für die Menschen im östlichen Teil Deutschlands blieb es weithin ein Traum. Im Westen konnten davon viele tatsächlich etwas abbekommen.

Doch dann ein Schock: 1972. Ein Kreis kluger Köpfe, verbunden im Club of Rome, veröffentlicht eine Alarmschrift. Ihr Titel: Die Grenzen des Wachstums. Das ist jetzt genau 50 Jahre her. Das Signal von damals wirkt bis heute, die Studie wurde inzwischen in 30 Sprachen übersetzt. Seitdem wissen alle, die es nicht mutwillig beiseiteschieben: Die Weltbevölkerung hat ein Problem.

 

Wie kamen sie darauf, die 17 schlauen Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, zwei von ihnen Deutsche? Sie hatten einen der damals noch neuartigen Computer mit Daten und Prognosen gefüttert: Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelbedarf, Industrialisierung und steigender Rohstoffverbrauch. Dann ließen sie den Rechner verschiedene Szenarien durchrechnen: Wie lange kann solches Wachstum anhalten? Das Ergebnis: Kaum noch 100 Jahre, also ungefähr bis 2070. Dann ist der Planet Erde ausgelaugt und diese Art des Wirtschaftens kollabiert.

 

Der Club of Rome erkannte: Alles hängt miteinander zusammen. Was jede und jeder einzelne tut, hat Auswirkungen auf das Ganze. Aber meistens weit weg, sowohl zeitlich als auch regional. Deshalb merkt der einzelne Mensch gar nicht oder zu spät, was er anrichtet. Inzwischen belegen das zahlreiche Untersuchungen. Zum Beispiel: Die Industrienationen verfeuern zu viel Öl, Gas und Kohle, Treibhausgase erwärmen das Klima, das Polareis schmilzt, der Meeresspiegel steigt und tausende Kilometer von den Polen entfernt versinken Inseln im Pazifik. Der steigende Wasserpegel kommt überall an, auch an den Deichen der Nordsee. So hängt alles mit allem in vielfältiger Weise zusammen. Und jeder einzelne Mensch ist mit seinem Handeln ein Teil davon. Noch ist Zeit umzusteuern! Das war die entscheidende Botschaft des Club of Rome.

 

Wie konnte es soweit kommen? Der Münchner Schriftsteller und Umweltaktivist Carl Amery wusste es: Das Christentum ist schuld. Im gleichen Jahr wie der Club of Rome, 1972, veröffentlichte er sein Buch „Das Ende der Vorsehung“. Die Umweltkrise bezeichnet er darin als die ‚gnadenlose Folge des Christentums“. Warum?

 

Amery schreibt: Das Christentum habe Gott und die Natur strikt voneinander getrennt und sich ganz auf das Verhältnis des Menschen zu Gott konzentriert. Dabei sei die Natur zur geistlosen Materie geworden und zum Rohmaterial für die menschliche Ausbeutung verkommen. Die Bibel habe das legitimiert, indem sie dem Menschen die Herrschaft über die Natur übertragen habe. Dafür steht ein Vers aus dem Schöpfungsbericht:

 

„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (Gen 1,28 gelesen von Rufus Beck, Die Bibel)

 

Wachstum und Herrschaft in einem Atemzug! An der Kritik von Carl Amery ist etwas dran. Bemerkenswert finde ich schon seine Denkrichtung. Für ihn hat die Ursache der Umweltkrise etwas mit Glauben zu tun. Das gilt auch für die Bewältigung dieser Krise. Wie hältst du es mit der Umwelt? Das ist nicht nur eine naturwissenschaftliche und eine politische Frage, sondern auch eine geistliche. Wie begreift sich der Mensch im Rahmen der Natur? Und: Wie halte ich als Christ es mit der Schöpfung und meinem Schöpfer? Das spielt eine große Rolle.

 

Es stimmt: Die Kirchen haben die Natur lange vernachlässigt. In die Enge getrieben von den aufstrebenden Naturwissenschaften, haben sie die Natur den Wissenschaften einfach überlassen. In den Kirchen redete man zwar noch von Schöpfung, meinte damit aber weniger die Natur, sondern gesellschaftliche Ordnungen und sich selbst.

 

Vor dem Christentum sei das anders gewesen, schreibt Amery. Da seien Religion und Natur zusammen gedacht worden. Die Menschen hätten in der Natur göttliche Wesen und göttliche Weisung gefunden. Deshalb hätten sie die Natur geachtet.

 

Es stimmt: Wer heute die Natur besser verstehen will, geht nicht zum Druidentreffen in den Karnutenwald, sondern bedient sich der Naturwissenschaften. Ob Carl Amery das heute gerne zurückdrehen wollte? Ein religiöses Zurück zur Natur? Wohin es führt, wenn Naturwissenschaften beiseitegeschoben werden – das kann man derzeit in der Debatte um die Corona-Pandemie gut sehen, wo manche lieber Mythen als Fakten folgen wollen. Ein solches Verständnis der Natur hilft auch nicht, die ökologische Herausforderung zu meistern. Gebraucht wird ein anderes Zurück zur Natur. Auch im Glauben. Dazu macht ein zweiter Blick in die Bibel Mut:

 

„Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (Gen 2, 15 gelesen von Rufus Beck, Die Bibel)

 

Bebauen und Bewahren: Kümmern also. Beides gehört zusammen und das klingt ganz anders, geradezu ökologisch. In diesem Sinn haben viele Christen inzwischen verstanden: Natur - das ist Schöpfung. Das ist Leihgabe Gottes an uns Menschen. Die Leihgabe ist pfleglich zu behandeln. Denn nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere und die Pflanzen haben Anteil an Gott. Daraus erwächst eine andere Haltung zur Natur und zu sich selbst.

 

„Die Grenzen des Wachstums“ - dieser Weckruf des Club of Rome vor 50 Jahren ist auch heute noch eine tiefgreifende Provokation, denn er stellt den Grundpfeiler des Wirtschaftssystems in Frage: das Wachstum. Wachstum gilt, je nach Perspektive, entweder als eine Art Naturgesetz der Marktwirtschaft oder als deren Götze, das Goldene Kalb.

 

Entsprechend gereizt reagierten damals viele in der westdeutschen Wirtschaft. Andere griffen den Weckruf dagegen auf. Umweltgruppen und Bürgerinitiativen entstanden. Eine Partei wurde gegründet, die heute sogar der Regierung angehört. Vieles, was junge Leute heute fordern, kommt mir aus damaliger Zeit so bekannt vor. Heute rufen die jungen Leute: „Es gibt keinen Planeten B“. Damals hieß das: „Wir gehen mit der Welt um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum.“

 

In der DDR war man mit dem Weckruf des Club of Rome schnell fertig. Zumindest regierungsamtlich. Das sei ein Problem des ‚bösen westlichen Kapitalismus´. Doch es gab auch andere Stimmen. Die sahen eine Verbindung zum Gift rund um Bitterfeld, zum schädlichen Uran-Abbau der Wismut-AG, zum allgegenwärtigen Feinstaub der Braunkohle… Insbesondere kirchliche Umweltgruppen griffen das Thema auf.

 

Wirklich neu war die Umweltfrage schon damals nicht. Bereits um 1800 fiel auf: „Wir fällen für den Bau von Schiffen mehr Bäume als nachwachsen können. Wenn wir so weitermachen, haben wir bald keine Bäume mehr.“ Daraufhin entwickelte die Waldwirtschaft das, was später als Nachhaltigkeit weltberühmt wurde: Nur so viel verbrauchen, wie nachwächst. Aber gleichzeitig lernte die Menschheit auch, dass man für den Bau von Schiffen gar kein Holz braucht. Die schwimmen auch, wenn sie aus Stahl oder Kunststoff sind. Wachstum kann sich also auch auf andere Rohstoffe verlagern. Ein zentrales Argument der Verteidiger des Wachstums. Damit gaben sich viele zufrieden - im kapitalistischen Westen wie im sozialistischen Osten, Atheisten wie Christen. Noch immer eint viele die Zuversicht: Der rastlos forschende Mensch werde schon zur rechten Zeit immer neue Technologien und neues Wachstum hervorbringen. Aber ist das nicht letztlich nur ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft? Die Frage nach Technologie ist auch die Frage nach dem Menschen. Ist er ein nimmersatter Ausbeuter? Ein Spielertyp, der nie genug bekommen kann, und erst dann aufhört, wenn er alles verloren hat?

 

Ausgerechnet die Bibel bietet einen anderen Blick. Ausgerechnet sie, die des Menschen Abgründe bestens kennt und dokumentiert, rühmt sein Potenzial.

 

Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du, Gott, bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. 7Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan.“ (Psalm 8, 4-7 gelesen von Rufus Beck, Die Bibel)

 

Ein starkes Plädoyer für den Menschen: Er kann viel. Schafft die Menschheit das nötige Umsteuern noch?

 

In den vergangenen 50 Jahren ist in Sachen Ökologie viel passiert. Genug? Nein, sagt der Club of Rome. Er überprüft alle zehn Jahre seine Prognosen. Inzwischen mit viel besseren Rechnern, mit viel differenzierteren Modellen - und doch kommt er immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen: Kollaps in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Zwar werden neue Rohstofflager und neue Techniken gefunden. Doch das wird aufgefressen von dem exponentiellen Wachstum des Verbrauchs. Ein Turbo-Effekt.

 

Der Club schlägt ein anderes Denken vor. Nicht Wachstum, sondern ein Gleichgewicht anstreben: Nur so viele Geburten wie Sterbefälle – also ein Stopp des Bevölkerungswachstums. Rohstoffverbrauch und Recycling in einer stabilen Balance. Weg vom Immer Mehr Wollen - hin zu einem Genug haben. Dem Club war schon damals bewusst, was er da vorschlug. Er sprach von einer Aufgabe „kopernikanischen Ausmaßes“. In jedem Fall ist es eine gemeinsame Aufgabe. Die ökologischen Herausforderungen lassen kein einziges Land aus. Sie kommen nur nicht überall gleichzeitig und in gleichem Maße an.

 

Mich überzeugt die Einsicht: Da müssen alle ran, denn gebraucht werden sowohl gute Strukturen als auch persönliches Engagement. Die Politikerinnen mit viel guter Politik, die Ingenieure der Welt mit viel guter Technik. Die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem alltäglichen Verhalten. Und alle zusammen mit ihrer Haltung.

Dazu gehört zunächst die Vernunft. Eine langfristige Vernunft muss es sein, die nicht nur den eigenen schnellen Vorteil denkt, sondern auch das Lebensrecht der Nachkommen.

Des Weiteren ein neues Empfinden für die Natur entwickeln – und damit auch für sich selbst: Mehr kümmern, weniger ausbeuten. Wer das tut, stößt automatisch auf seinen Lebensstil und wird manches verändern. Vermutlich ist auch mancher Verzicht dabei.

 

Dafür gibt es anderes zu gewinnen: Wie schön würde sich das Leben anfühlen, wenn die eigene Existenz keine Belastung mehr für die Erde wäre. Denn das, was ich brauche, kann die Erde gut bereitstellen. Welche Last fiele von einem ab, wenn man den ökologischen Schuldzusammenhang auflösen könnte. Das wäre ein viel größerer Gewinn an Lebensqualität als das Immer Mehr haben.

Wie gut täte es, den Kindern und Enkeln die Erde als einen intakten Lebensraum übergeben zu können. Weder die Kinder, noch Gott würden dann fragen: Was habt ihr eigentlich gemacht mit all dem Wissen, das euch der Club of Rome und viele andere rechtzeitig aufgetischt haben? Eine Anfrage an die eigene Haltung und an den eigenen Glauben.

 

Für beides hat ausgerechnet der 400 Jahre alte Menschenspötter Molière die richtigen Worte: “Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch verantwortlich für das, was wir nicht tun.“

 

Nach dieser Devise handeln bereits viele. Aber, wie es der Club of Rome sagt: Es kommt dabei auf alle an. Zu schaffen ist es.

 

Der Bericht „Die Grenzen das Wachstums“ wurde am 2. März 1972 erstmals auf einem Symposium in Washington vorgestellt und diskutiert. Wenige Tage später erneut in St. Gallen/Schweiz.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

14.01.2022
Stephan Krebs