Daheim ist, wo man hingehören will

Wort zum Tage
Daheim ist, wo man hingehören will
10.01.2015 - 06:23
05.01.2015
Pfarrer i.R. Michael Becker

Heute ist vieles möglich. Auch im Glauben. Eine Mutter erzählt in die Fernsehkamera, wie sie vor einem Jahr ihren Sohn zur Welt gebracht hat. Sie selbst ist Jüdin und hat in einem evangelischen Krankenhaus in ihrer Nähe entbunden. Der Arzt habe auf ihre Bitte hin - noch vor der Geburt - ein Segensgebet für den ungeborenen Jungen gesprochen. Der Vater des Kindes, sagt die Mutter, sei streng katholisch und habe darauf bestanden, dass der Junge gleich nach der Geburt beschnitten wird. Schließlich habe die Oma, die Mutter des Vaters, streng katholisch, den Jungen bald nach der Beschneidung getauft. Oder so etwas Ähnliches, sagt die Mutter im Fernsehen und strahlt.

 

Ja, was denn nun, welcher Glaube genau? Evangelisch, jüdisch oder katholisch? Die Mutter und ihre Familie fragen sich das nicht. Sie denken anders: Alles für mein Kind. Von allem das Beste: Taufe, Beschneidung, Segensgebete. Man kann ja nie wissen. Wenn das Beste aus allen Religionen möglich ist, wollen wir das auch haben. Früher gehörte man zu etwas. Heute gehört man sicherheitshalber zu allem. Wird das Leben aber wirklich besser, wenn man überall ein wenig Zuhause ist? Ein bisschen Buddha, ein wenig Islam, vielleicht eine Beschneidung und zur Krönung die Taufe – überall kann man doch nicht daheim sein. Das ist, als hätte man in jeder Großstadt eine Wohnung. Und lebte mal hier, mal da und dann dort. Wo aber ist man daheim?

 

Daheim ist man, wo man hingehören will; ein Akt des Bekennens. Wer vier Wohnungen hat, kümmert sich wohl um keine richtig, kennt kaum seine Nachbarn und verzichtet oft auf schöne Bräuche. Wenn es mal ernst wird und ein Nachbar ist krank und braucht mich – ist man dann weg und geht dahin, wo das Leben leichter scheint? Hat keine Zeit fürs Schwere? Nein. Viele Religionen in einem Leben, das geht nicht. Jeder Glaube braucht das Bekenntnis: Hier gehöre ich hin, hier lebe ich mit anderen. Hier suche ich den besten Weg und laufe nicht woanders hin, wenn mir etwas nicht passt. Hier streite ich über Gott und mit Gott. Der Glaube braucht Erde, in der er wachsen und reifen kann. Nicht von allem ein bisschen. Lieber eins, und das richtig. So wird man, sagt die Bibel, zum „Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit.“ (Altes Testament, Psalm 1, Vers 3)

05.01.2015
Pfarrer i.R. Michael Becker