So klingt Ostern

Gottesdienst Speyer
So klingt Ostern
Gottesdienst aus der Protestantischen Gedächtniskirche Speyer
03.04.2016 - 10:05

Über die Sendung

Heut triumphieret Gottes Sohn! Im Gottesdienst aus der Speyrer Gedächtniskirche werden am ersten Sonntag nach Ostern Teile dieser Kantate von Dieterich Buxtehude aufgeführt. Es singt die Speyerer Kantorei, begleitet vom Kammerorchester, sowie Vokalsolisten und die Sopranistin Eva Landmesser. Die musikalische Leitung hat Bezirkskantor und Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger, der auch die Orgel spielt. Durch den Gottesdienst führt Dekan Markus Jäckle. Er hält auch die Predigt.


Die Gedächtniskirche ist sowohl Hauptkirche der Evangelischen Landeskirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) als auch Kirche der Gedächtniskirchengemeinde, die hier ihre sonntäglichen Gottesdienste feiert. Gebaut wurde die Gedächtniskirche in Erinnerung an die Protestation auf dem Reichstag zu Speyer im Jahre 1529. In nur zehn Jahren, von 1893-1904, wurde sie im neogotischen Stil als Denkmal des Weltprotestantismus errichtet, finanziert mit Hilfe von Spenden der Evangelischen aus aller Welt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer!

 

So klingt Ostern! Dietrich Buxtehude hat eine wirklich schöne und musikalisch ansprechende Osterkantate komponiert. Mit einer einleitenden Sinfonia des Orchesters wird der Hörer auf das Geschehen vorbereitet.

 

Wie bei einem Triumphzug eines Königs nach siegreicher Schlacht kündigen die Fanfaren die frohe Botschaft an, die dann vom Chor gesungen wird:

Heut triumphieret Gottes Sohn, der von dem Tod erstanden schon, mit großer Kraft und Herrlichkeit, Alleluja!!

Es ist ein machtvoller, ein vor Freude überschäumender und ergreifender Klang, der heute den großen Raum der Gedächtniskirche erfüllt. Er will über das Ohr in unser Herz hinein gelangen und uns die Freude spüren lassen, die mit dieser Botschaft vom Sieg Jesu über den Tod verbunden ist. So klingt für mich Ostern. Und für viele Andere auch: Machtvoll, stark, triumphierend, hell und klar, voller Freude, und: wunderbar schön.

 

Lassen wir uns hineinnehmen in diesen Klang von Ostern, der auch die Geschichte des zweifelnden Thomas durchweht, die wir vorher gehört haben. Sie beginnt mit einem Treffen der Freunde Jesu hinter verschlossenen Türen. Sie haben Angst und sind voller Trauer um Jesus, der am Kreuz gestorben ist. Die Stimmung ist hoffnungslos. Der, der ihr Leben verändert hat, dem sie geglaubt hatten, mit dem sie durch das Land gezogen waren, der so viel angestoßen, verändert, bewegt hat bei den Menschen, denen er begegnete, der nicht nur von der Nähe Gottes sprach, sondern sie auch spürbar vermittelte, sie regelrecht verkörperte in seinem ganzen Wesen, in seinem Reden und Handeln dieser Jesus, war nun gestorben. Tot. Begraben. Nicht mehr unter ihnen.

 

Alles wofür sie gekämpft, gestritten und gelebt hatten, war mit einem Mal wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Und damit alle Visionen, alle Hoffnung, alle Pläne für die Zukunft. Jesus war nicht mehr da. Aus dem so hoffnungsfrohen Anfang war ein schreckliches Ende geworden. Wie sollte es weitergehen? Keiner wusste es mehr.

 

Ich stelle mir vor, wie sie sich getroffen haben, um sich gegenseitig zu trösten. Vielleicht haben sie sich nach einander erkundigt: Und? Wie geht es dir? Ist für dich auch jeder Tag so leer und inhaltslos, als ob man aus der Zeit fällt? Hast du auch das Gefühl, man bewegt sich, sieht die Dinge und Menschen, hört, was andere sagen, und ist doch irgendwie abwesend? Anwesend und doch abwesend, weil in Kopf und Seele eine große Leere herrscht, die sich nicht verdrängen lässt?

Wer trauert, oder getrauert hat, weiß darum nur zu genau. Auch darum, wie gut es tut, und wie wichtig es ist, sich austauschen zu können mit anderen, die in einer eben solchen Situation sind.

Man spürt: ich bin nicht allein. Andere haben ähnliches erlebt und erfahren. Ich verstehe sie und sie verstehen mich. Und man erinnert sich an früher. An das, was man zusammen erlebt und erfahren hat, an Anekdoten und Begebenheiten, an fröhliche und schwere Tage.

So werden sich die Jünger an Jesus erinnert haben, als sie sich getroffen haben. An seine Worte, an seine Art, auch daran, wie er für sie da war, und was er jedem bedeutet hat. Sie erinnern sich an seine Kompromisslosigkeit, an seine Energie und auch an seine Autorität, mit der er andere Menschen für sich und seine Sache gewinnen konnte.Auch an seine ungeheure Kraft, mit der er sogar Menschen heilen konnte, nicht nur ihren Geist und ihre Seele, sondern auch ihren Körper. Weil er offensichtlich über eine Macht verfügte, die alles Menschliche und Irdische überstieg.

 

Und dann, auf einmal, steht Jesus mitten unter ihnen und sagt: Friede sei mit euch!

 

Mit offenen Augen und Mündern sitzen die Freunde da und starren auf die Erscheinung, die da vor ihnen steht: War er nicht tot? Fragen sie sich. Aber er lebt. Er ist da, mitten unter uns. Sie sind fassungslos, erschüttert, Ungläubiges Staunen erfüllt den Raum. Dann zeigt Jesus ihnen seine Hände und seine Seite. Nun sind sie sicher, ja er ist es. Was dann passiert in diesem Raum, fasst Johannes zusammen mit den lapidaren Worten: Da wurden sie froh.

 

Ich kann mir gut vorstellen, welchem Gefühlsbad die Jünger Jesu ausgesetzt waren, damals in diesem Raum.

Erst waren sie noch zu Tode betrübt und dann auf einmal bricht heller Jubel aus ihnen heraus. Und es breitet sich eine Freude aus, die alle erfasst und keinen auslässt:

 

„Ja, es ist tatsächlich Jesus, der da vor uns steht!“

 

Ich kann mir vorstellen, wie sie von dieser Freude vollkommen verwandelt nach Hause gingen. Mit hüpfenden Herzen und einem Lächeln auf den Lippen. Seinen Segensgruß noch im Ohr: Friede sei mit euch!

 

So klingt Ostern! Jesus lebt! Er ist wieder da. Er, der uns alle versteht und unsere Gemeinschaft zusammenhält, er ist wieder da! Und mit ihm Gottes Nähe- Mitten unter uns!

 

Jetzt sehen sie die Welt in einem neuen Licht. Im Licht des Auferstandenen! Sie sehen die Welt mit Jesu Augen, sehen einander an, so wie Jesus sie angeschaut hat. Einer kann des anderen Schwäche verstehen und vergeben. Auch ihre eigenen Unzulänglichkeiten sehen sie in einem neuen Licht. Im Licht der Vergebung Jesu.

 

Da wurden sie froh, schreibt der Evangelist Johannes. Ich stelle mir das vor wie das Erwachen aus einem Alptraum.

Der Schmerz und das Leid, das sie durchlebt haben, ihre Machtlosigkeit, ihre Hoffnungslosigkeit, all das ist vorbei, ist nun Vergangenheit.

Mit einem Mal ist wieder Licht und Freude in ihrem Leben.

Die Welt hat sich verändert. Ihre Sicht auf die Welt hat sich verändert. Sie sehen mehr, sie schauen hinter das Leid und den Tod, den sie erlebt haben und sehen das alles in einem neuen Zusammenhang.

 

Das verwandelt sie. Ein befreites Lachen klingt durch Zeit und Raum. Der Tod ist bezwungen. Seine Macht besiegt: D. Buxtehude hat diese Verwandlung vertont in seiner Kantate „Heut triumphieret Gottes Sohn.“

 

Hören wir nun die Arie „Nun liegt Höll und Tod geschlagen“ und den Chor „Victoria, Victoria“.

 

[…]

 

So klingt Ostern! Gottes Sohn triumphiert! Der Tod ist besiegt. Niemand soll verzagen. Die Hölle von Trauer, Leid und Schmerz ist vorbei.

Wir haben den Herrn gesehen! rufen die Jünger, denen der Auferstandene begegnet ist. Sie sind voller Freude. Ihr Osterlachen hallt durch die Straßen, unbeschwert und hell, verbreitet die freudige Nachricht rasch in der Stadt.

 

Doch einer bleibt davon unberührt. Einer war an jenem Tage, bei jenem Treffen, nicht mit dabei gewesen. Es ist Thomas, der Zwölfen einer, der auch der „Zwilling“ heißt.

Er hat von all dem nichts mitbekommen und ist noch ganz gefangen von der lähmenden und kalten Macht des Todes, die in das Leben derer greift, die einen Menschen verloren haben, und sie starr werden lässt vor Kummer und Schmerz.

Dieser Thomas begegnet nun seinen Freunden, die so ganz anders sind als die letzten Tage, wie verwandelt. Und er kann es nicht verstehen.

Mit vermutlich hochgezogenen Augenbrauen nimmt er die Veränderung seiner Freunde wahr, ungläubig und zweifelnd. Er kann die Fröhlichkeit der Anderen nicht fassen, und noch weniger kann er daran teilhaben, geschweige denn, dass er in diesem Moment teilhaben könnte an ihr, da er doch gar nicht herausfindet aus seinem Kummer und Leid. Das ist die Tonlage, in der Thomas sich befindet. Und er kann nur schwer hören, was die anderen zu ihm sagen: „Du wirst es nicht glauben, aber wir haben den Herrn gesehen!“

 

Vielleicht fassen sie ihn dabei an den Schultern und schütteln ihn. Sie spüren seine Lethargie und wollen ihn wachrütteln, ihn herausreißen aus seiner Trauer. Sie reden mit ihm laut, schauen ihm tief in die Augen. Er soll hören und spüren, dass es wahr ist, was sie da sagen, auch wenn es sich vollkommen verrückt anhört.

 

Thomas aber – er glaubt ihnen nicht. Glaubt ihnen kein Wort. Egal, was sie da erzählen. Er hält sie für verrückt, für vollkommen abgedreht, er kann es nicht glauben.

Die können mir viel erzählen, denkt er. Erst wenn ich die Wundmale von Jesus mit eigenen Augen sehe, erst  wenn ich sie mit meinen eigenen Händen berührt habe, dann, Erst dann könnte ich vielleicht glauben, vielleicht.

 

Nun ist Thomas keiner, der bisher nicht an Jesus geglaubt hätte. Er war ja die ganze Zeit mit dabei gewesen. Aber er kann sich einfach nicht so schnell auf die Freude einlassen. Er braucht Argumente, starke Argumente, die gegen die Trauer sprechen, gegen den Schmerz. Es ist nicht so leicht, Wege aus der Trauer heraus zu finden. Mancher tut sich richtig schwer damit, ist und bleibt gedrückter Stimmung, weil er einfach nicht imstande ist, neue Freude zu finden, weil er immer noch hadert mit seinem Schicksal und mit Gott.

 

Und weil tief im Innern seiner Seele, seines Herzens, eine Wunde ist, die brennt und keine schnelle Heilung zulässt. Wie soll er da sich einfach freuen können, glauben können, ohne gewiss zu sein?

 

Es ist diese Wunde des Glaubens, in die Thomas seinen Finger legt: Dass Glauben nicht Wissen heißt. Dass der Zweifel die Gewissheit braucht. Und, dass der Glaube nicht nur aus dem Hören erwächst, sondern auch aus dem Sehen und Spüren.

Glauben ist eine innere Gewissheit, die man erst bekommt, wenn man etwas erlebt, wenn man etwas spürt, das einfach überzeugend ist.

Jesus nimmt Thomas, den Zweifler an. Er versteht, warum er zweifeln muss. Er ist einer, der überzeugt werden will. Und das ist gut so. Deshalb  zeigt er ihm seine Wunden. Deshalb lässt er ihn diese Wunden spüren mit seinen eigenen Händen.

Für mich ist dies das wichtigste Zeichen in dieser Geschichte: Zur Auferstehung gehören die Wunden dazu. Sie sind nicht weggezaubert. Sie bleiben und sie erzählen vom Weg der Auferstehung. Sie erzählen vom Weg aus dem Tod in ein neues Leben.

So jedenfalls zeigt sich Jesus, und so scheint es auch Thomas begriffen zu haben. Als die Begegnung mit dem, der den Tod überwinden konnte, weil er ihn erfahren hat.

Und jetzt, als Thomas Jesus und seine Wunden spürt, da kann er glauben. Und er sagt: Mein Herr und mein Gott! So klingt Ostern. Mein Herr und mein Gott!

 

Thomas weiß jetzt – nein, er ist sich dessen gewiss: Der Auferstandene hat sich auch ihm zugewendet. Er zeigt sich auch ihm und lässt ihn teilhaben an seiner Gegenwart. Er lässt sich berühren, von ihm, dem Zweifler. Damit auch er wieder glauben kann und sich freuen und hoffen.

 

Es gibt sie immer beide bis heute: Die einen, die glauben ohne zu sehen, und die anderen, die erst glauben, wenn sie sehen.

Der Auferstandene kommt zu allen. Niemand soll ewig in Leid und Schuld gefangen sein. Oder im Dunkel seines Zweifels. Jeder soll seine Gegenwart erfahren, hören, sehen, spüren können.

 

Freuen sollen sich alle, damit sie ihr Vertrauen auf ihn setzen.

 

Den Jüngern und Thomas hat er sich gezeigt. Und ihnen seinen österlichen Segensgruß zugesprochen: Friede sei mit euch!

Diesen Gruß haben wir heute besonders nötig. In dieser friedlosen Zeit. Alle sehnen sich nach Frieden. Egal aus welcher Kultur, aus welchem Land sie stammen. Frieden für die unruhige Seele, die sich sorgt und quält, nicht Rast noch Ruhe kennt. Frieden für den, der gefangen ist in einer Krankheit, von der keiner weiß, wie es am Ende ausgehen wird. Frieden für den, der durch seine Arbeit so unter Druck ist, dass er oder sie kaum noch abschalten kann. Friede für den, der sich große Sorgen um das Kind macht, und für den niemand einen guten Rat weiß.

Frieden nicht nur für die Seele, Frieden auch für die eine Welt, in der der Arme und Reiche, Starke und Schwache, Völker und Nationen zusammen leben können. Weil wir ja doch alle Teil der einen Welt sind, und sie uns geschenkt ist, damit wir sie erhalten.

Frieden, der Menschen miteinander versöhnt, auch wenn sie unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Religionen sind. Wissen wir doch alle, dass Menschenrechte und Glaubensfreiheit, zur unverzichtbaren Würde jedes Menschen gehören.

 

Diesen Frieden will der Auferstandene uns geben.

 

Übrigens: Haben Sie es schon bemerkt, dass der Auferstandene auch hier in der Gedächtniskirche ist, mitten unter uns? Sie können ihn sehen. Er kommt Ihnen entgegen, mit rotem Gewand, im Glasfenster über der Mitte des Chores, die Hände zum Segensgruß erhoben.

Und über ihm steht der Heilandsruf, sein Versprechen für alle, die verzweifelt nach ihm suchen: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen