Du sollst dich fürchten!

Morgenandacht
Du sollst dich fürchten!
05.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Eberhard Hadem
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Im Jahr 1939 zeichnet Paul Klee ein Engelbild in Schwarzweiß und nennt es ‚Wachsamer Engel‘: Auf „pechschwarzer Finsternis“ zeigt sich hell und klar ein „Hoffnung bringendes Wesen“, das mit seinen Augen „höchst aufmerksam und schützend zugleich den Betrachter auf Erden (…) anblickt.“ (Boris Friedewald, Die Engel von Paul Klee. DuMont-Verlag 2013, 7. Auflage, Seite 92)

 

Schon das 13. Jahrhundert hätte diesen wachsamen Engel nötig gehabt. Es war von ähnlicher Dunkelheit geprägt. In der Geschichtsforschung wird dieses Jahrhundert ‚Krisenzeit‘ genannt. Klimaveränderungen, machtpolitische Streitigkeiten der Königshäuser, weltliche und geistliche Landesherren im Konflikt. Und mitten drin der einfache Mensch, machtlos und hilflos, Tag für Tag. ‚Du sollst dich fürchten‘ lautete der Geist jener Zeit. Kein Wunder, dass im 13. Jahrhundert die Engel Konjunktur gehabt haben wie in keinem Jahrhundert zuvor. Ausführliche Engellehren und ausgeklügelte Engelhierarchien werden von Gelehrten zusammengestellt, die in einer Welt voller Engel und Teufel Orientierung geben sollen.

 

Krise, Weltuntergangsstimmung, Angst – darin unterscheiden sich das Spätmittelalter und die heutige Zeit nur unwesentlich. Obwohl wir als Europäer so gut und sicher leben wie noch keine Generation vor uns: Ängste sind unsere ständigen Lebensbegleiter geworden. Das kollektive Bewusstsein ist von der Krise als Gefahr geradezu infiziert. ‚Du sollst dich fürchten!‘ ruft der um sich greifende Zeitgeist aus. Die Angst soll helfen, dass es besser wird. Das Konzept des Fürchtens hat nach wie vor Konjunktur und ist sehr effektiv.

 

Nach innen gesehen lautet die Lösung für manche: Wenn die Angst mächtig wird, müssen die persönlichen Engel mächtiger werden. Dabei ist es letztlich egal, ob es für meine Angst im Leben einen realen Grund gibt. Es genügt das individuelle Gefühl, dass ich mich in meiner Existenz bedroht fühle, dass ich allein nicht mehr zurechtkommen könnte – dann haben persönliche Schutzengel Konjunktur. Sie vermitteln Stabilität, wenn alles zu wanken scheint. Sie versprechen Halt, wenn Zusammenhänge nicht mehr zusammenhängen im Leben, wenn ich haltlos werde. Engel scheinen diffuse Ängste kompensieren zu können. Sie vermitteln eine Art Sicherheit jenseits von Lebens-Versicherung und Hausrat-Police.

 

In der Esoterik haben Engel deshalb Hochkonjunktur, ganz ähnlich wie vor 700 Jahren. Geistige Führer verlocken mit einem angeblichen ‚Wissen‘, dass man nur staunen kann. Da wird die Wirkkraft von Engeln detailliert beschrieben. Sogenannte Experten ‚wissen‘ ganz genau, welcher Engel für welches Problem zuständig ist und helfen kann, und wie man die Energien eines Engels anzapfen kann.

 

In der christlichen Volksfrömmigkeit stehen die Engel für Schutz und Bewahrung, vor allem als Behüter der Kinder. In der Bibel sind Engel jedoch immer Boten Gottes; sie gehören zu Gott. Sie sind also keine Wesen, die der Mensch für seine Zwecke einsetzen könnte. Meinem Schutzengel vertrauen – das bedeutet für mich, dass ich Gott vertraue, was immer mit mir geschieht. Glaube ist keine Schutzimpfung, die alles Gute in meinem Leben garantiert. Ich verstehe Glauben als Vertrauen. Ich will Gott vertrauen, auch dann, wenn das Gute ausbleibt.

 

Aus meiner Angst heraus fordert mich der Glaube: Ich habe Ansehen bei Gott. Genauer gesagt: Gott sieht mich an. So wie der wachsame Engel von Paul Klee, der mit seinen Augen „höchst aufmerksam und schützend zugleich den Betrachter auf Erden (…) anblickt.“

 

Ich bin es, den er betrachtet, mich und meine Welt. Ich, der Betrachter des Engels, werde selbst beobachtet. Für mich sind es gerade die Engel von Paul Klee, die mich zur Selbsterkenntnis rufen. Um ein altes christliches Wort zu bemühen: Sie rufen zur Buße. Sie versprechen mir Bewahrung durch Veränderung.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

03.01.2020
Eberhard Hadem