Fotografie

Morgenandacht
Fotografie
30.04.2020 - 06:35
30.01.2020
Thomas Dörken-Kucharz
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Jeden Tag ist es zu sehen: Riesengroß als Hintergrundbild hinter der Moderatorin in den Nachrichten. Als Foto in der Tageszeitung. Auf den Posts in den sozialen Medien: Das Coronavirus.

Ist es nicht eigentlich schön? Diese kleinen Krönchen auf der großen Kugel. Und die Farben erst…. ‚Das Schöne sei nichts als des Schrecklichen Anfang‘ hatte einst der Dichter Rainer Maria Rilke behauptet. Zumindest beim Anblick des Coronavirus hat er recht. Dabei ist das Virus für die Augen eigentlich komplett unsichtbar. Es ist viel zu klein. Nur Dank der Fotografie lassen sich das Virus und seine bedrohliche Schönheit sichtbar machen. Bilder zeigen, was den Augen und den Sinnen sonst verborgen ist.

Auch wenn Bilder längst Massenware sind - ohne sie wäre auch die Kommunikation bildlos, wir könnten nur telefonieren oder Radio hören. Doch Videokonferenzen, Fotonachrichten und Bildergrüße erzeugen zusätzliche Nähe. Gerade in diesen Zeiten sind das Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Wenn ich schon mein Enkelkind nicht besuchen kann, kann ich es doch leibhaftig krabbeln und sich aufrichten sehen, und es kann umgekehrt mich auf dem Bildschirm sehen. Und solange die Einschränkungen und Verbote für Gottesdienste und Versammlungen gelten, ist auch da die mediale Übermittlung eine große Hilfe. Längst dienen Foto und Film auch dem Gotteslob.

Das war nicht immer so. Bei der Erfindung der Fotografie vor über 180 Jahren war zum Beispiel im Leipziger Anzeiger zu lesen: „Fotografie ist Gotteslästerung. Der Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen, und Gottes Ebenbild kann durch keine menschliche Maschine festgehalten werden.“ Zum Glück konnte dieser massive Vorwurf den Siegeszug der Fotografie nicht aufhalten. Sie hat das Leben verändert und begleitet jede und jeden Einzelnen ganz selbstverständlich im Alltag. Fotografie sei Gotteslästerung – darüber kann man heute wohl nur noch schmunzeln. Und die Kirche hat sich diesen Vorwurf ja auf Dauer auch nicht zu Eigen gemacht. Die Corona-Krise mit ihren eingeschränkten Begegnungsmöglichkeiten macht es ganz deutlich – wir profitieren alle von den digitalen Möglichkeiten, Fotos und Bewegtbilder zu erleben.

Gute Fotografie ist auch nicht oberflächlich. Sie ist nicht weniger religiös oder unreligiös als Fresken oder Kirchenfenster. Der französische Philosoph Roland Barthes behauptete sogar, dass jede Fotografie etwas mit Auferstehung zu tun hat. Denn in einem Foto sind Augenblicke und Erinnerungen festgehalten, die auf ihre Weise beim Betrachten wieder lebendig werden. Fotos aus frühen Tagen von Großeltern und Eltern, aber auch von mir selbst sind mir deshalb sehr kostbar. Die Fotos in meinen Familienalben formen auch mein Selbstbild: Von manchen Situationen meiner Kindheit weiß ich gar nicht, ob ich mich wirklich an sie erinnere oder nur an ein Foto aus frühen Tagen und die Erzählung meiner Eltern dazu.

Fotos lassen nicht nur Erinnerungen lebendig werden. Jedes Foto fordert mich auch zum Vergleich heraus zwischen früher und jetzt. Was ist geblieben, was hat sich geändert seither? Steigert man diese Betrachtung ins Grundsätzliche, kann man sogar behaupten: Jede Fotografie enthält eine Spur meines zukünftigen Todes. Ich sehe, dass Dinge vergangen und nur noch auf dem Foto erhalten sind. Ich spüre, wie schnell die Zeit vergeht.

Fotos erweitern meinen Horizont, lassen Situationen erinnern und vergegenwärtigen sie. Gleichzeitig erzählen sie mir aber auch, wie begrenzt mein eigenes Leben ist.

Jede Fotografie hat etwas damit zu tun, was mein Leben ausmacht. So eingeschränkt dieses Leben im Moment auch erscheint – vielleicht ist jetzt, wo man sowieso möglichst zuhause bleiben muss, die Zeit Fotos zu ordnen. Alben, Fotobücher oder -seiten für Familie, Freunde oder für sich selbst zu gestalten. Jedenfalls - die alten Fotos wieder hervorzukramen, das verspricht erbauliche Stunden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

30.01.2020
Thomas Dörken-Kucharz