Geschwister

Morgenandacht
Geschwister
23.07.2018 - 06:35
20.06.2018
Lucie Panzer
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Wenn Geschwister streiten, dann ist meistens Neid im Spiel. Sie streiten um Anerkennung. Darum, wer mehr bekommt, wer Recht hat, wer gelobt wird. Kann man dagegen etwas tun? Oder ist das unvermeidlich, wenn man ja von Anfang an teilen muss: Die Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern, deren Zeit, die Unterstützung, irgendwann später auch das Erbe.

 

Wenn ein Schwesterchen oder Brüderchen geboren wird, dann fängt es an. Auf einmal kümmern sich die Eltern um diesen kleinen Schreihals, weil der ja noch so klein ist und hilfsbedürftig. Und die Großen müssen sehen, wie sie zu ihrem Recht kommen, genauso schreien manchmal oder zeigen, was sie können, damit sie auch beachtet werden. Und wenn die Eltern sich noch so viel Mühe geben – dieses Gefühl, die anderen kriegen mehr, das sitzt oft ganz tief drin und verfolgt einen sein Leben lang.

 

Das war anscheinend schon immer so. Die Bibel erzählt ganz am Anfang von Kain und Abel. Brüder waren sie, Kain der ältere, Abel der jüngere. Anscheinend auch sie von Anfang an in Konkurrenz miteinander. Und vielleicht zeigt schon der Name Abel, wie das war. Abel heißt soviel wie Hauch, Nebel, Dampf. Anscheinend war der Junge am Anfang ein bisschen zart. Einer, der viel Zuwendung und Unterstützung brauchte.

 

Als erwachsene Männer aber waren offenbar beide erfolgreich. Der ältere, Kain, als Landwirt. Abel, der jüngere als Herdenbesitzer und Hirte. Wie damals üblich, brachten beide am Erntedankfest ein Opfer. Und die Bibel notiert: Gott sah auf Abel und sein Opfer – aber auf Kain schaute er nicht.

 

Ich frage mich, wie man das wissen kann, wohin Gott schaut. Maler haben später ein Opferfeuer mit gerade in den Himmel aufsteigendem Rauch gemalt und eines, das nur so eben vor sich hin qualmt. In der Bibel steht davon nichts.

 

Was da steht ist: Kain, der ältere, ergrimmte und senkte seinen Blick. Hat er womöglich gar nicht richtig hingeschaut, denke ich mir jetzt. Weder in den Himmel noch auf seinen Bruder? Hat er womöglich schon vorher gewusst, wie das ausgeht? Wie immer eben: der kleine, der andere, der kriegt wieder die ganze Zuwendung, die er als älterer sich immer so gewünscht hat? In Kain steigt offensichtlich der ganze Ärger auf, den er schon immer mit sich herumgetragen hat. Er wird wütend. So kann er den Bruder nicht sehen, wie er ist. Und den Vater im Himmel sieht er auch nicht. Er hat ja den Blick gesenkt in seiner Wut. Er sieht nur noch, was er sehen will.

 

 

Es ist bekannt, wie die Geschichte ausgeht. Kain erschlägt Abel. Der erste Mord, von dem die Bibel erzählt: aus Neid. Weil der eine sich zu kurz gekommen fühlt. Aber doch eigentlich gar nicht richtig hingeschaut hat. Für ihn konnte es gar nicht anders sein: immer kommt der andere besser weg. Immer komme ich zu kurz.

 

Aber dann zeigt sich: Gott hat auch Kain gesehen. Hat wahrscheinlich schon immer gesehen, wie es mit ihm war. Hat gesehen, was er getan hat. Und jetzt sieht er auch seine Verzweiflung. Wie rastlos er ist und enttäuscht, jetzt zweifellos auch von sich selbst. Was hat er getan?

 

Da gibt ihm Gott eine zweite Chance. Kain kommt davon. Nimmt eine Frau, bekommt einen Sohn. Und die Bibel erzählt: Kain baut eine Stadt. Das war nach der biblischen Geschichtsschreibung die erste Stadt der Weltgeschichte. Wohnort für Menschen wie Kain. Menschen, die Anerkennung suchen und dabei oft neidisch werden und wütend.

 

Ich glaube, diese Geschichte ganz vom Anfang der Bibel zeigt, wie wir Menschen sind. Nicht nur die Städter. Wie wir im anderen vor allem den Konkurrenten sehen. Und dabei den Bruder übersehen. Den, der genauso ist wie ich. Der genauso leben will und Anerkennung braucht. Und wenn er schwächer ist als ich, vielleicht mehr Zuwendung braucht und mehr Ermutigung als ich.

 

Warum so eine hässliche Geschichte in der Bibel steht? Ich glaube, sie soll eine Mahnung sein und eine Warnung: Vergleich dich nicht immer mit den anderen. Vergleichen macht einen blind für die Gaben und Begabungen, die man hat. Vergleichen macht mich blind für Gott, der es gut mit mir meint. Und wenn meine Brüder und Schwestern mehr Hilfe brauchen als ich – dann sollen sie sie bekommen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Lucie Panzer