Lady Snake

Morgenandacht
Lady Snake
Ein Spionagethriller in der Bibel (Josua 2ff)
26.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Silke Niemeyer
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Sendung zum Nachlesen

„Lady Snake“ wird der neue James Bond heißen, „Schlangenweib“, so der deutsche Titel. Und er wird alle Zutaten eines 007-Spionagethrillers haben, die die Zuschauer schütteln, rühren und die sie lieben: Der Geheimagent ihrer Majestät wird wieder gegen den abgrundtief bösen Dr. No kämpfen müssen, mit der Lizenz zum Töten. Und wieder wird da eine verruchte Schöne sein: Lady Snake, die Hure in der Festung des Dr. No. Aber wer kann diesem 007 widerstehen? Als Dr. No’s Leute ihm auf den Fersen sind, versteckt Lady Snake ihn in ihrem Bordell. In der Nacht wirft sie ihm ein Seil zu, ein rotes, was sonst; an dem hangelt er sich aus dem Fenster, lässt den Motor seines Aston Martin aufheulen und flieht in die Berge.

Mehr wird nicht verraten. Aber so viel ist schon klar: Beim großen Showdown wird kein Stein auf dem anderen bleiben von Dr. No’s Festung. Mit Posaunen wird sie samt ihren Bewohnern untergehen.

 

Wer jetzt doch Blut geleckt hat, kann das Ende der Geschichte im sechsten Buch der Bibel nachlesen, im Buch Josua. Ich gestehe: Es ist frei erfunden, dass der neue James Bond „Lady Snake“ heißt. Die Bibelgeschichte von der Hure Rahab wäre allerdings eine vorzügliche Vorlage für eine neue Folge. Zugegeben, auch der Aston Martin steht nicht in der Bibel. Aber sonst stimmt alles: die Festung des Dr. No heißt da Jericho, Lady Snake ist die Hure Rahab, und James Bond sind zwei Agenten, die anonym bleiben. Sie wollen Jericho ausspionieren, weil die Israeliten die Stadt erobern wollen. Das gelingt später auch, und zwar so: Das Volk zieht sieben Mal um die Festung herum, die Priester blasen das Horn dazu, und als das ganze Volk in einen furiosen Jubelschrei ausbricht, fallen die Mauern in sich zusammen. Die Israeliten töten alle Bewohner bis auf Rahab und ihre Familie im Haus mit dem roten Seil. Wow!

 

Solche Geschichten, in denen das Böse unter viel Geballer und Getöse besiegt wird, werden heiß geliebt, zumindest im Film, denn da weiß man: das Blut ist nur Ketchup. In der Bibel liest man das nicht so gern, wenn gehauen und gestochen wird. Aber: die Erzählung von der Eroberung Jerichos ist genauso fiktiv wie die Eroberung von Dr. Nos’s Festung, sie ist alte Thriller-Fiction. Der Ort war damals nur ein Schutthaufen. Die Festung Jericho steht für die schier unbesiegbaren Großmächte, die nach der Herrschaft greifen. Die Hure Rahab steht für die feindliche Macht. Rahab oder mit anderem Namen Leviathan ist in der alten Mythologie der Name der Schlange, die sich Gottes Plänen entgegenstellt. Hier, und das ist der Clou, hilft sie Gottes Willen zu erfüllen.

 

Die Geschichte wurde vor zweieinhalbtausend Jahren erfunden. Da war Israel selbst erobert, stöhnte unter Besatzung und sah kaum noch eine Zukunft. Es ist eine Anti-Verzweiflungs-Geschichte, die sich die Opfer von Gewalt und Blutvergießen erzählt haben. Ihr Glaube: In Gottes Namen sind wir nicht verloren. Wir werden das überwinden. Heute nennt man solche identitätsvergewissernden Erzählungen „Narrativ“. Diese ist ein Widerstands-Narrativ. Lady Snake Rahab wird zur Verbündeten, die Mauern des Bösen stürzen zusammen, Dr. No und seine Schergen kommen um. Ihnen gehört nicht die Zukunft.

 

Das alles macht die Gewalt in biblischen Texten nicht zu harmloser Unterhaltung. Auch die Gewaltphantasien von Opfern sind Gewalt. Sie gehen allerdings nicht davon weg, dass man sie verschweigt, unterdrückt oder leugnet. Die Bibel gibt ihnen eine Stimme. Damit kann man über sie sprechen und versuchen sie zu verstehen – damit aus Phantasien eben nicht Taten werden, damit man Worte dagegen finden kann. Und die findet man in der Bibel zuhauf: Geschichten davon, wie der Hass überwunden wird, wie der Täter begnadigt wird, wie man den Feind lieben soll, Worte des Friedens eben. Sie sind die Klammer: Am Beginn der Bibel das „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und siehe, es war gut!“. An ihrem Ende: „Gott wird abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein.“

Der neue James Bond übrigens trägt den Titel „No Time To Die“. (2)

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

  1. Die Anregung verdanke ich Prof. Dr. Reinhard Achenbach, Professor für Altes Testament an der WWU Münster.
  2. https://www.stern.de/neon/feierabend/film-streaming/-james-bond---der-neue-film-hat-endlich-einen-namen---und-starttermin-8860340.html
18.07.2019
Silke Niemeyer