Martin Luther King in Ostberlin

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash / Jeronimo Bernot

Martin Luther King in Ostberlin
13.09.2022 - 06:35
11.06.2022
Oliver Vorwald
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Checkpoint Charlie, der 13. September 1964. An diesem Tag geschieht gleich mehrmals Sonderbares. Und Wunderbares. Um 19.40 Uhr fährt ein Bulli am Kontrollposten vor. In dem Kleinbus sitzt Martin Luther King. Der US-amerikanische Bürgerrechtler und Baptistenpastor ist auf Einladung von Willy Brandt für drei Tage in Westberlin. Er trägt sich ins Goldene Buch ein, blickt auf die Mauer, predigt in der Waldbühne am Tag der Kirche vor 20.000 Menschen. Und nun will er nach Ostberlin, in die St. Marienkirche am Alexanderplatz. Martin Luther King kommt allerdings ohne Reisepass. Die US-Behörden haben ihm das Dokument abgenommen, damit der prominente Gast nicht in die DDR einreisen kann. Auf die Frage der Grenzer, ob er sich irgendwie anders ausweisen könne, zeigt der Bürgerrechtler seine Kreditkarte vor. Es funktioniert. Das Symbol des Kapitalismus wird zur Eintrittskarte in den Arbeiter- und Bauernstaat.[1] Gegen 20 Uhr trifft Martin Luther King in der Marienkirche ein, steigt auf die barocke Kanzel mit ihren Schnörkeln und Engeln. Zunächst überbringt er Grüße aus Westberlin und den Vereinigen Staaten …

Einspieler Martin Luther King: “We are all one in Christ Jesus. In Christ there is no east no west, no north no south. But one great fellowship of love around the whole wide world. (…) Aber letzten Endes sind wir Ost und West Nord oder Süd alle Brüder und Schwestern in unserem Herrn Jesus Christus. Und das ist und bleibt eine teure Hauptsache unseres Lebens.“

Atemlose Stille. 1.500 Leute drängen sich im Gotteshaus. Sie wollen den Prediger hören, der ein Jahr zuvor die legendäre Rede „I have a dream“ vor zehntausenden in Washington gehalten hat. In Ostberlin ist auch die Stasi dabei. Martin-Luther King spricht über die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Wie es begonnen hat mit der Näherin Rosa Parks. Sie blieb einfach sitzen, als sie ihren Platz im Bus für einen Weißen räumen sollte, ließ sich still festnehmen. Gewaltloser Widerstand. Martin Luther King erzählt, wie die Proteste der Bürgerrechtsbewegung sich allmählich im ganzen Land ausgebreitetet haben. Er sieht darin Gott am Werk, wie einst beim Auszug der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten. Der Allmächtige lässt niemals und nirgends seine Kinder allein, so Martin Luther King. Sein Ziel ist die Freiheit. Es ist übrigens dieselbe Predigt wie am Tag zuvor in Westberlin am Tag der Kirche. Aber hier in der DDR, die sich mit einer tödlichen Mauer gegen Einflüsse aus dem Westen schützen will, wirken seine Worte ganz anders. Die Menschen in der Marienkirche sind tief gerührt. Sie haben das Gefühl: hier spricht einer, der ihre Geschichte teilt. Die Worte des Bürgerrechtlers und afroamerikanischen Pastors treffen ihre Situation in der geteilten Stadt. Martin Luther King fordert dazu auf, „einen Stein der Hoffnung aus der Mauer der Verzweiflung zu brechen“. Und anschließend zitiert er seinen Namensvetter, Martin Luther …

Einspieler Martin Luther King: “Our only response could that be of Martin Luther: Here I Stand I can do no other. So help me God.“

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“ Martin Luther King hält am 13. September 1964 noch einen zweiten Gottesdienst in Ostberlin. Erst spät in der Nacht passiert er erneut den Checkpoint Charlie. Seine Worte bleiben auf wundersame Weise hörbar. Denn die Stasi ist nicht bloß dabei gewesen, sie hat auch mitgeschnitten. In der Marienkirche und im Deutschen Rundfunkarchiv finden sich heute Kopien dieser Predigt. Ein Zeitdokument und ein Glaubenszeugnis dafür, dass Gott alle Dinge zum Besten wandeln kann. Beim Propheten Jesaja heißt es: Gottes Wort kehrt nicht leer zurück. Es wirkt, wozu es gesandt wird (Jes 55,11). Es tröstet die Traurigen, stärkt die müden Herzen und führt hinaus ins Weite.

Einspieler Martin Luther King: “Halleluja!“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Audioquellen und Literaturangaben:

  1. K.Ney, „Keine Grenze kann Gottes Kinder trennen“. Martin Luther Kings Predigt in der St. Marienkirche, Ev. Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien, 2018.
  2. Mitschnitt des Rede Martin Luther Kings durch die Staatssicherheit der DDR in der St. Marienkirche: Rundfunkarchiv Babelsberg, DRA, und Archiv der Ev. Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien.
  3. Youtube-Channel der St. Marienkirche Berlin, Feature auf Youtube mit Ausschnitten aus der Predigt, ab Min 11:15, https://www.youtube.com/watch?v=wZgwIRrw0TY.
 

[1] Der Vorgang wird von der Staatssicherheit protokolliert. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wZgwIRrw0TY, Feature der Marienkirche – Min. 5.

 

 

11.06.2022
Oliver Vorwald