Morgen Dort - Hannes Wader

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash / Victrola Record Players

Morgen Dort - Hannes Wader
15.09.2022 - 06:35
11.06.2022
Oliver Vorwald
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Im Vinyl liegt Wahrheit. Jeder Kratzer singt vom Leben. Von flatternden Händen, flatterhaften Nächten, Tränen, Freude, Abschied und Anfang. Als mir unsere Nachbarin ein paar Alben aus dem Plattenschrank ihres Vaters überreicht, bin ich gerührt. Darunter ein Album von Hannes Wader. Im Januar haben wir von ihrem verstorbenen Vater im Friedwald Abschied genommen. Bei Schnee, blauem Himmel und Himbeergeist. Ich lege seine Platte auf den Tonteller, drehe am Regler, warte auf die vertrauten Zeilen: „Heute hier, morgen dort. Bin kaum da, muss ich fort. Hab mich niemals deswegen beklagt.“ 1972 erscheint der Folksong auf dem Album „7 Lieder“, das ist nun 50 Jahre her. Hannes Wader singt es bis heute. Treue gegenüber sich selbst, den schweren Träumen.

„Heute hier, morgen dort“. Wir haben das Lied beim Konfirmandenunterricht gesungen. Im Pfadfinderlager nachts am Feuer. Zu den ersten Fingerübungen in der Gitarrenstunde. Es klingt leicht, lässig und trägt so viel heilige Sehnsucht in sich. Hinaus in die Welt. Nicht gebunden sein, sich nicht festlegen zu müssen. Immer weiter. Das Glück finden, sich selbst, vielleicht Gott?

Aber mit dem Himmel hat Hannes Wader es ja nicht so. Der zieht sich in seinen Liedern übers Land, das ist es auch schon. An Rettung durch „ein höheres Wesen“ – Gott, Kaiser noch Tribun – verschwendet er keine Liedzeile. Er bleibt ganz irdisch. Sorgt sich um die Nöte der einfachen Menschen, Gerechtigkeit und die Leiden der Liebe. Für manche ist er zu links, weil er keine Berührungsängste mit Kommunisten hat. Andere bezeichnen ihn als unstet, weil er sich nicht fassen lässt. Widerständig, widerspenstig und dabei so empfindsam. Auch jetzt im Alter, in diesem Jahr ist Hannes Wader 80 geworden. Er hat ein neues Album veröffentlich, produziert in Northeim nahe Göttingen. „Was ich noch singen wollte“ lautet der Titel. Er klingt wie ein Vermächtnis. Lieder zu Hölderlintexten stehen am Beginn und Ende des Albums – Die Nacht, An die Parzen. Dazwischen Volkslieder wie „Wir haben das Korn geschnitten“, dazu Stücke voller Herz-Schmerz über das Ende eines gemeinsamen Weges, ein Duett mit Reinhard Mey und ein paar seiner bissigen Hannes-Wader-Songs.

Das Booklet zur CD ist künstlerisch behutsam gestaltet. Mit Fotos, mit zärtlichen Zeichnungen, einem kurzen Briefwechsel zwischen ihm und Reinhard Mey. Alles sehr persönlich. Lyrisch. Nicht zu vergessen diese Prise Schwermut. Darin bleibt er sich treu. Ganz Mensch. Hannes Wader – empfindsame Seele. Einer, der auf Bühnen klettert wie einst Zachäus auf Bäume. Um zu schauen, zu hören, ja, wonach eigentlich, wenn es nicht Erlösung ist?

„Manchmal träume ich schwer und dann denk ich es wär Zeit zu bleiben und nun was ganz andres zu tun. So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.“ Im Vinyl liegt Wahrheit. Sie trägt sich ein mit jedem Kratzer. So kontrastiert und kommentiert sie die Lieder auf den schwarzen Plastikscheiben.

Wie mein früherer Nachbar „Heute hier, morgen dort“ gehört hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß, dass er ein leidenschaftlicher, humorvoller und ganz frommer Mensch gewesen ist. Seinen Schreibtisch hat er mit Hoffnungsversen geschmückt. Worten von Dietrich Bonhoeffer, Bibelversen. Er hatte dieses Matthias-Claudius-Vertrauen, dass hinter dem Horizont alles rund und voll ist. Für mich singt jeder Kratzer auf dieser LP auch von seinem Leben. Von flatternden Händen und einem festen Herzen.
 

Musikangaben:

Hannes Wader: Heute Hier, Morgen Dort (G. Bolstadt, H. Wader), CD-Titel: 7 Lieder, Track Nr. 1.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

11.06.2022
Oliver Vorwald