Organspende

Morgenandacht
Organspende
Staatlich verordnete Nächstenliebe?
28.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Silke Niemeyer
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„Für mich ist Organspende eine Frage der Nächstenliebe.“, sagt der Minister Jens Spahn (1). Und Eckart von Hirschhausen ist sich sicher: „Wenn ich vor meinen Schöpfer trete, wird er nicht sagen, wo ist deine andere Niere“ (2). Deshalb findet er es gut, wenn zukünftig jeder aktiv widersprechen muss, falls er nicht will, dass ihm beim Tod seines Hirns Organe und Glieder entnommen werden.

 

In der Auseinandersetzung über die so genannte Widerspruchslösung kann man etwas Merkwürdiges beobachten: viele Befürworter aus Politik und Ärzteschaft argumentieren engagiert mit Jesus und der Bibel, mit der Nächstenliebe und dem Schöpfer. Ulrich Montgomery, bis vor kurzem Präsident der Bundesärztekammer, findet unsere Gesellschaft zu hedonistisch und eine Theologie rückwärtsgewandt, die Menschen nicht religiös mitnimmt, damit sie zur Organspende bereit werden (3). Theologen aber wie der Altbischof Wolfgang Huber oder der Vorsitzende des Ethikrates Peter Dabrock scheuen sich, vollmundig das Nächstenliebegebot und den Schöpfergott in Anspruch zu nehmen. Beide sehen in der Organspende durchaus einen Akt der Nächstenliebe und glauben auch nicht, dass der Schöpfer am Ende der Tage die Organe auf Vollständigkeit überprüft. Trotzdem, besser gesagt, gerade deswegen werfen sie in der Debatte nicht mit Begriffen aus dem christlich moralischen Allerheiligsten um sich. Ich bin ihnen sehr dankbar für diese kluge Zurückhaltung.

 

Wenn ein Mensch auf die Unversehrtheit seines toten Körpers verzichtet, um einem fremden Menschen zu helfen, ist das Selbsthingabe im buchstäblichen Sinn. Der vermutlich schwer an den Augen erkrankte Paulus schrieb an die Gemeinde in Galatien: „Wenn es möglich gewesen wäre, hättet ihr eure Augen ausgerissen und mir gegeben.“ (Gal 4,15) Heute ist es möglich seine Augen einem anderen zu geben. „Mein Mann hat seine Augen gespendet, Sie glauben nicht, wie es mich tröstet, dass ein anderer mit ihnen sieht.“, erzählte mir eine verwitwete Frau. Dagegen die Worte eines Freundes: „Ich habe einen Organspendeausweis, aber es gibt etwas, das dürfen sie mir auf keinen Fall rausnehmen: Meine Augen!“

 

Und was sage ich? Ich gestehe: ich bin noch unentschieden. Es ist ein großartiger Gedanke, dass ich in einem anderen Menschen weiterleben könnte. Und gar nicht auszudenken: wie würde ich einen Spender wünschen, wenn ich selbst oder ein geliebter Mensch nur mit dem Herzen eines anderen eine Chance hätte, dieses wunderbare Leben weiterzuleben. Ja, ich würde es wohl verzweifelt hoffen, dass rechtzeitig das rettende Organ da ist. Und ich würde hoffen, dass mein dann toter Lebensretter es mir in Freiheit vermacht.

 

Aber: Meine Augen, mein Herz, meine Hände sind mehr als Teile meines Körpers. Sie sind mein Ich. Ich bin Körper. Er ist nicht so etwas wie mein Auto, in dem ich fahre, aber auch aussteigen kann. Ich denke nicht gern an meinen Tod. Es macht mir Angst. Und es ist eine furchtbare Vorstellung, dass meinem von einer Maschine beatmeten, an Schläuchen hängenden Leib Herz und Nieren, Hände und Füße, Augen und Ohren entnommen werden.

 

Ich zögere, ob ich darüber so schonungslos sprechen darf. Denn ich mute meinen Mitmenschen innere Bilder zu, die sie vielleicht gar nicht vertragen können. Vielleicht weil sie es im Moment durch ihre Lebensumstände nicht verkraften, sich so etwas vorzustellen. Als Seelsorgerin darf ich das eigentlich nicht. Aber genau das tut die Widerspruchslösung. Sie zwingt uns alle zur Beschäftigung damit. Sie zwingt uns auch zum Gespräch mit unseren Liebsten. Denn wie ich nicht für mich selbst lebe, sterbe ich auch nicht für mich selbst. Und ich will doch, dass die Menschen, die mich lieben, im Fall der Fälle mit meinem Tod leben können. Bin ich bereit auf die Hand meines nächsten Angehörigen zu verzichten, wenn es aufs Letzte geht? Meinen sterbenden Leib den Händen der Chirurgen und der Beatmungsmaschine zu übergeben?

 

Das sind Entscheidungen auf Liebe und Tod. Sie brauchen größtmögliche Freiheit. Wo der Staat Druck macht und zwingen will, kann ich als Pfarrerin nur sagen: Gott zwingt dich hier zu gar nichts. Du darfst ja sagen. Du darfst auch nein sagen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

  1. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interviews/tagespost-040719.html
  2. https://www.pro-medienmagazin.de/medien/fernsehen/2018/09/10/organspende-darf-nicht-zur-bereitschaftspflicht-werden/
  3. https://www.tagesspiegel.de/politik/thema-organspende-aerztepraesident-montgomery-kritisiert-altbischof-huber/23112558.html
18.07.2019
Silke Niemeyer