Vater Unser im Himmel – raus aus der Echokammer

Morgenandacht
Vater Unser im Himmel – raus aus der Echokammer
04.09.2018 - 06:35
20.06.2018
Anja Neu-Illg
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Welche Resonanz haben eigentlich Gebete?
So wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.
Was schallt aus Gebeten zurück?
Das, was man hereingerufen hat?
Oder erwarten Betende als Antwort etwas Anderes?

Sitzen die Betenden in Echokammern?
Hören nur, was sie selbst sagen, oder etwas ganz Ähnliches.
Was eine Echokammer im Internet ist, merkt man spätestens dann, wenn einem Amazon unter „Kunden die dies kauften – kauften auch das“ ein Buch vorschlägt, das man schon im Regal hat. Ja, da hat Amazon meinen Geschmack getroffen und auch meine Interessen, aber etwas zu sehr.

Echokammereffekt. Algorithmen errechnen aufgrund von ein paar Daten und Klicks, was ich als nächstes Kaufen, Anklicken oder Lesen will. In den sozialen Netzwerken werden mir nur die Posts angezeigt, die so ähnlich sind, wie die, die ich schon gelikt habe. So dass ein Pastorenkollege zu dem Schluss kam: „Langweilig dieses Facebook, überall nur Pastoren.“

„Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete…“ heißt es im Matthäusevangelium. Gebetskämmerchen. Was ist das für eine Kammer?

 
Welcher Raum eröffnet sich, wenn ich eine Gebetskammer betrete?

So klein die Kammer auch sein mag, es ist ein unendlich großer Raum.

Vater unser im Himmel. So beginnt das wohl bekannteste christliche Gebet.
Vater. Wer so startet, geht als erstes davon aus, dass er beim Beten nicht allein ist.
Dass da einer ist, der zuhört. Ein Gegenüber. Eine Person. Gott als Vater.
Einer zu dem ich „Du“ sagen kann. Einer, der mich kennt.

Unser Vater.
Da sind die Vater-Bilder und Vater-Sehnsüchte vieler anderer in meinem Gebet mit drin.
Und doch ist Gott mehr als das, was viele sich wünschen oder von einem Vater erhoffen.
Es ist der Vater von Jesus Christus. Von ihm komme ich her. Er will mir nahe sein.
Er ist erreichbar und liebevoll.

Wenn ich Vater Unser bete, dann stehe ich nicht allein vor Gott.
Auch wenn ich ganz allein in meiner Gebetskammer bete, bin ich nicht nur ich, sondern verbunden; mit Menschen vor mir, mit Menschen an ganz anderen Orten und mit denen, die ganz anders sind, als ich.

Das Gebet beginnt nicht mit mir und es endet auch nicht bei mir. Es ist durch Jahrhunderte hindurch gebetet worden und „Wenn es nun zu uns kommt, bringt es die Schicksale von Millionen mit, ihr Leiden und ihr Glück, ihre Angst und ihre Hoffnung, ihre Nöte und ihre Dankbarkeit.“
Wer Vaterunser betet, ist nicht allein.

Das Unser im Vaterunser ist offen. Jeder und jede kann es sich zu eigen machen.
Es gehört allen, die es beten möchten. Zusammen mit einem Großen Wir ist der Beter vor Gott.
„Ich bin da, zusammen mit allen Menschen, die dich, Gott, suchen. Die dich finden, oder nicht finden können, die vertrauen oder die nicht vertrauen können. Ich bin bei dir mit allen Menschen dieser Erde zusammen.“ Unwahrscheinlich, dass sie alle so sind, wie ich selbst.

Vater Unser im Himmel. Ist der Vater nicht da? Woanders, im Himmel, unerreichbar? So wäre es, wenn mit „Himmel“ das Blau über uns gemeint wäre, in das Luftballons aufsteigen, bis man sie nicht mehr sieht. Himmel aber meint einen Anderort und eine Anderszeit. Dort ist Gott ganz bei sich.

Gott ist kein abwesender Vater, sondern einerseits Vater und andererseits im Himmel;
einerseits nahbar und ansprechbar und andererseits nicht einfach verfügbar, manipulierbar, handhabbar. Wer Gott als Vater im Himmel anspricht akzeptiert, dass er nicht ist wie „die Dinge, wie die Zeit, wie ich selbst.“

Die Gebetskammer ist keine Echokammer. Bete ich zu einem, der anders ist als ich selbst, die anderen, unsere Vorstellung von ihm, die Dinge, die Zeit, dann kann ich eine Resonanz erwarten,
die ich nicht selbst vorher wissen oder programmieren kann.
Eine Antwort also, die das Zeug hat, wirklich zu überraschen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

20.06.2018
Anja Neu-Illg