Viel Staub und der erste Stein

Morgenandacht
Viel Staub und der erste Stein
21.01.2019 - 06:35
13.12.2018
Eberhard Hadem
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Männer kommen zu Jesus. Sie haben eine Frau beim Ehebruch ergriffen und werfen sie vor Jesus in den Staub. Die Bibel erzählt, dass Jesus sich bückt und mit dem Finger auf der Erde malt. Scheinbar ist ihm der Staub wichtiger als das moralische Urteil.

 

Ich stelle mir das vor: Wie nur die ersten im Kreis um Jesus sehen, wie er sich bückt. Und die hinteren drängen und fragen: Was macht der da? Wir sehen ihn nicht! Und die Vorderen sagen: Er kniet. Wie? Er kniet? Er soll was sagen, soll sagen, was Sache ist. Phh, er kniet im Staub und malt. Wie? Mit dem Finger? Was malt er? Sagt doch was! – Jetzt hat er doch gerade was gesagt! Psst, was sagt er? Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Was? Wie? Man kann es fast hören, wie dieser Satz durch die Menge pflügt, weitergegeben wird; wie er geflüstert und ratlos bedacht wird, bis es im Herzen aller ankommt: Bin ich’s – ohne Sünde?

 

Der Staub, in den Jesus malt, ist für mich ein Bild für die Sünde. Die Männer haben die Frau in den Staub gestoßen, als wollten sie sagen: ‚Da gehörst du hin, Sünderin. Du bist Staub, du wirst nie etwas anderes sein als Staub’. Deutlicher können sie es kaum ausdrücken, was sie von dieser Frau halten.

 

Bis das Wort Jesu zu hören ist: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Er hätte auch sagen können: Wer von euch ohne Staub ist, der werfe den ersten Stein. Die Menschen hätten das damals besser verstanden als wir heute: Betrat man zurzeit Jesu ein Haus, wurden die Füße gewaschen und gereinigt. Und doch wussten alle: Wenn wir wieder hinausgehen, ist er da, der Staub; niemand bleibt ohne ihn. Der Staub an unseren Füßen zeigt, dass wir alle auch Staub sind. Die Männer begreifen, dass ihre Verachtung gegenüber der Frau sich letztlich gegen sie selbst richtet.

 

Aber ist das alles, was über uns Menschen zu sagen ist, dass jeder wieder zu Erde, Staub und Asche wird? Ist das alles, was wir von uns denken und von Jesus erwarten dürfen? Es ist nicht Jesu Art, die Scham der Menschen größer zu machen. Ich glaube, dass sich in dieser Geschichte niemand in den Staub, in Grund und Boden schämen soll.

 

Aber erst in dem kurzen Gespräch Jesu mit der Frau hören wir – und mit uns auch die Männer damals – die andere Botschaft, dass wir nicht nur Sünder und Staubwesen sind, sondern Geschöpfe, die eine Aufgabe haben. Die Bibel erzählt: Als [die Männer] es aber hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst. Aus dem zum Steinewerfen bereiten Mob treten Individuen hervor, werden einzelne Menschen erkennbar. Jesus hat einmal gesagt, dass er auf eine Gemeinschaft hofft, in der die, welche zuvor die Letzten waren, die Ersten sein werden.

Die Frau ist die Letzte vor Jesus. Sonst ist keiner mehr da. Jesus schaut auf. Was für eine Provokation: Denn die Frau ist nun die Erste dem Ansehen nach. Die erste einer neuen Gemeinde.

Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Niemand, Herr, antwortet die Frau.

Mehr als diese zwei Worte hören wir nicht aus ihrem Mund. Im Gespräch mit ihr fällt kein Wort über Schuld. Jesus billigt weder das Handeln der Frau noch bittet er um Verständnis für sie. Aber er gibt ihr eine Aufgabe für die Zukunft:

So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige nun nicht mehr.

 

Ich verstehe das so, dass Jesus ihr sagen will: ‚Bleibe in der Liebe Gottes, mit der er dich ansieht. Denke nicht, dass du nur Staub bist. Wenn du dich selbst so sehen lernst, wie Gott dich ansieht, wirst du nichts tun, was dich oder deinen Nächsten erniedrigt, verletzt, demütigt, beleidigt oder zerstört. Vergisst du es aber, dann wirst du in dir selbst und in anderen nur Staub sehen. Und du wirst dich selbst und andre auch genau so behandeln. Deshalb vergiss es nicht: Du bist ein Geschöpf, du kannst innehalten, nachdenken, dich selbst erkennen und anders werden.‘

 

Ob die Frau sich selbst vergeben konnte, was sie getan hat, erfahren wir nicht. So ist der Auftrag nicht nur der Frau gesagt, sondern auch den Männern in dieser Geschichte: Geht hin und sündigt nun nicht mehr! Und mir ist es heute Morgen auch gesagt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.12.2018
Eberhard Hadem