Über die Wut

Wort zum Tage
Über die Wut
12.06.2015 - 06:23
31.03.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig

„Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen“, lautet der Titel eines bekannten Kinderbuches. Wenn etwas nicht nach Wunsch läuft oder wenn man sich gekränkt fühlt, kommt schon mal Wut hoch. Bei Großen, Kleinen und auch bei Tieren. Dem Klippschliefer zum Beispiel passt es nicht, wenn die Sonne jeden Abend untergeht. Sie reagiert einfach nicht auf ihn, selbst wenn er sie anschreit. „Was für eine Betrügerin!” schimpft er. „Den ganzen Tag über tut sie so, als ob sie für immer am Himmel stehen würde. Nur, um abends plötzlich zu verschwinden.” Was macht ihn eigentlich so wütend? Der Klippschliefer ist einfach allein, wenn er dann in sein dunkles Haus geht. Niemand ist da, der ihm die Angst vor der Dunkelheit nehmen könnte. Kein Wunder, dass er traurig und wütend ist. Aber die Sonne kann ihm da nicht helfen.

 

Wut ist ein schwieriges Thema, nicht nur für Kinder. Wie ein Vulkanausbruch setzt sie ungeheure Energie frei. Sie im Zaum zu halten, braucht Kraft. Denn sie kann blind machen. Wer nur noch rot sieht, zerstört leicht, was ihm lieb und teuer ist.

    Selbst wenn sie berechtigt ist: Wut allein führt zu nichts. Wer etwas zum Guten verändern will, muss sie überwinden, sie in etwas Größeres integrieren.

    So jedenfalls sieht es die Bibel.

 

Die Lebensgeschichte von Jesus ist dafür ein Beispiel. Auch er konnte wütend werden. Wenigstens einmal wurde er sogar handgreiflich. „Ihr habt aus meines Vaters Haus eine Räuberhöhle gemacht“, schreit er die Händler und Geldwechsler im Tempel an. Er stürzt ihre Tische um und vertreibt sie mit einer Peitsche aus dem Gotteshaus. Damals wie heute gilt das als Störung der Religionsausübung, Hausfriedensbruch, vielleicht sogar Körperverletzung. Das sind ernste Vergehen. Kein Wunder, dass die sogenannte „Tempelreinigung” einen willkommenen Anlass bietet, ihn zu verhaften. Jesus wird als Aufrührer angeklagt und schließlich hingerichtet.

    Aber Jesus durchbricht die Spirale von Wut, Gewalt und Zerstörung. Denn vor allem beherrscht er eines: Die Kunst, Menschen zu vergeben. Noch am Kreuz bittet er Gott für die Menschen, die ihn töten. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.” Vergebung bedeutet: Ein neuer Anfang wird möglich. Damit Menschen nicht stecken bleiben in der Wut, sondern über sie hinauswachsen und sie verwandeln.

 

Denn Wut darf nicht zerstören, was die Liebe aufbaut.

31.03.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig