Alles hat seine Zeit

Wort zum Tage
Alles hat seine Zeit
10.06.2015 - 06:23
31.03.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig

„Das Hemd von der Reinigung holen, der Freundin zum Geburtstag gratulieren, an den Termin beim Zahnarzt denken!“ So könnte meine morgendliche ToDo-Liste aussehen. Sie hilft, damit mir wichtige Dinge nicht unversehens wegrutschen. Vor allem dann, wenn der ist Kopf voll ist mit allem Möglichen und die Termine sich häufen. Zeit ist kostbar und muss gut organisiert werden. Gut, dass mich das Smartphone zusätzlich erinnert, wenn etwas noch nicht erledigt ist.

 

Aber mitunter beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl: Die Zeit läuft mir davon. Allen Listen und elektronischen Hilfen zum Trotz. Wenigstens stehe ich mit diesem Eindruck nicht allein da. Soziologen und Psychologen sehen sogar Zusammenhänge zwischen Beschleunigung des Lebenstempos und Erschöpfungserkrankungen.

    Mit den technischen Möglichkeiten steigen auch die Ansprüche. Und das Tempo in unserem Leben. Wir können gut Kontakt halten, sind aber auch fast jederzeit erreichbar. Wir können schnell reagieren, aber zugleich erfordern immer mehr Dinge unsere Aufmerksamkeit. Wir sind mobil mit Auto und Flugzeug, aber wir verbringen zunehmend mehr Zeit in ihnen. Was wir auf der einen Seite an Zeit einsparen, verbrauchen wir genauso schnell auf der anderen.

    Zu einem erfüllten Leben gehören nicht nur sinnvolle Aufgaben und aufregende Erlebnisse. Dazu gehören auch Nichtstun und Muße. Bis ins Mittelalter galt Muße sogar als wahre Lebenskunst, wertvoller als jede Aktivität.

 

Schade eigentlich, dass dieses Wort fast aus unserem Sprachschatz verschwunden ist. Denn genau sie, die Muße hilft, die besonderen, die göttlichen Augenblicke im Leben nicht zu verpassen. Augenblicke, in denen die Zeit still zu stehen scheint.

 

„Alles hat seine Zeit“, dichtet der Prediger Salomo. Behalten und wegwerfen z.B. hat seine Zeit, schweigen und reden. Auch die Muße soll ihre Zeit haben. Wie sonst könnte man sich auf eine Sache sinnlich einlassen und bei ihr verweilen? Allein, um den richtigen Zeitpunkt für ein Vorhaben zu erkennen, braucht man schöpferische Pausen und die Kunst, gelassen abwarten zu können. Sich wie ein Hamster im Rad zu drehen, ist dagegen vergebliche Mühe. Und schädlich obendrein.

 

„Alles hat seine Zeit und jedes Vorhaben unter der Sonne hat seine eigene Stunde.” Diese biblische Weisheit ist zeitlos; das heißt, sie hat immer ihre Zeit.

31.03.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig