Als einer im Elend rief

Wort zum Tage
Als einer im Elend rief
03.07.2020 - 06:20
25.06.2020
Ulrike Greim
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Ein gewöhnlicher Freitag im Juni 2020. Mein Kind verhandelt mit mir, schon lange vor dem Geburtstag das neue Tablet mit Book Cover und Pen zu bekommen, es sei gerade im Angebot. Wegen Homeschooling und so. Alle anderen hätten das auch. Na fast alle. Und das alte sei ja nun wirklich viel zu langsam und überhaupt nicht mehr akzeptabel.

 

Zeitgleich in Griechenland erzählt ein gleichaltriger junger Mann in die Kamera: „Die Milizen haben uns inhaftiert und gefoltert. Wir haben unseren Vater gesehen, wie er gelitten hat. Ich habe keine Worte, dir das zu beschreiben. Er ist gestorben. Noch 46 Tage lang nach seinem Tod wurde ich gefangen gehalten und misshandelt. Das ist unser Leben. Wir sind geflohen mit einer kleinen Tasche.“

 

Mein Kind wird zum Geburtstag das Geld für das Tablet locker zusammenbekommen. Große Verwandtschaft, alle spendabel. Hier ist es richtig angelegt. Speicherkapazität kann man noch dazukaufen. Bei der Farbe ist es sonnenklar: Rose blush. Wir klicken auf ‚kaufen‘.

 

„Ich habe in meinem Leben nur Krieg gesehen,“ sagt der junge Mann. Er sitzt mit sieben anderen in dem Minicontainer auf zwei Doppelstockbetten. Ihnen ist kalt. Komfort gibt es nicht im Flüchtlingslager. „Vor sieben Jahren habe ich meine Familie verlassen. Seitdem ziehe ich von Ort zu Ort in der Hoffnung, dem Krieg zu entkommen.“

 

Mein Kind wird zurechtkommen. Hoffe ich. Den Weg finden. Behütet sein. Darum bete ich. Das möge Gott geben.

‚Gott, halte mein Kind in deiner Hand. Hilf, dass es wachsen kann und fröhlich und stark werden kann. Und mutig. Bewahre es vor allem Bösen. Und geleite es an deiner Hand, dass dein Segen an ihm sichtbar wird.‘

 

Der junge Mann im Flüchtlingscamp erzählt von der Flucht, von den Soldaten. Dann hält kurz inne, ringt mit den Tränen und dreht sich weg. „Er kann gerade nicht,“ sagt der andere entschuldigend in die Kamera. „Moment bitte.“

Irgendwo in Afrika betet eine Mutter: ‚Gott, halte mein Kind in deiner Hand. Hilf, dass es wachsen kann und fröhlich und stark werden kann. Und mutig. Bewahre es vor allem Bösen. Und geleite es an deiner Hand, dass dein Segen an ihm sichtbar wird.‘

 

Oder betet sie nicht mehr? Ist sie still und unter der Erde?

Ich will für sie beten. Und ihr sagen: Wir werden ihn leiten. Wir. Wir holen deinen Jungen da raus. Es ist doch ein Kind wie meins.

25.06.2020
Ulrike Greim