blühend

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Masaaki Komori

blühend
von Kathrin Oxen
03.12.2022 - 06:20
01.08.2022
Kathrin Oxen
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Er stand in der linken hinteren Ecke des Gartens. Im Vorfrühling blühte zu seinen Füßen ein Meer von Krokussen. Später beschneiten seine weißen Blütenblätter in weitem Umkreis den Rasen. Im Sommer, als die Kirschen reif waren, wurden sie zum größten Teil von den Staren geerntet. Denn der Baum war alt und niemand hatte darauf geachtet, ihn zurückzuschneiden. So wuchs der Kirschbaum himmelhoch, ließ die Blüten im Wind wehen, entzog uns spöttisch seine Früchte und schenkte sie den Vögeln unter dem Himmel. Nur einmal im Jahr, am Barbaratag, versuchten wir ihm beizukommen, holten die große Leiter und nahmen jemanden mit, der sie festhalten konnte. Es ging uns nicht um Blüten oder Früchte, wie denn auch zu dieser Zeit. Zweige wollten wir schneiden. Die schenkte er uns. Er neigte sich, ließ uns sie abschneiden. Sah uns nach, wie wir ins Haus zurückgingen mit der Leiter und der Gartenschere und seinen Zweigen, die wir gleich in die Vase stellten und die an Weihnachten blühen würden neben dem Weihnachtsbaum. Und er brachte uns die adventliche Botschaft: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lk 21, 28)

Seht auf zum Kirschbaum. Schon im November, wenn die Sonne den ganzen Tag nichts anderes im Sinn hat als unterzugehen, steigt der Saft in seinen Zweigen bis in die Knospen. Dann reicht ein bisschen Wasser, ein warmes Zimmer und aus ihnen wird blühendes Leben. Die heilige Barbara, deren Tag morgen ist, soll auf dem Weg in den Kerker gewesen sein, als sich ein Zweig in ihrem Gewand verfing. In ihren Trinkbecher hat sie ihn gestellt und er begann zu blühen. Blühendes Leben dort, wo sie in der Dunkelheit auf den Tod zu warten hatte.

Es war schon da, in den Zweigen, die aussahen wie tot. Es wird nur sichtbar, für die, die sich aufmachen. Mit der Leiter und der Gartenschere in der Hand, zur Unzeit, wenn es gar nichts zu ernten gibt. Für die pragmatischen Romantiker, die nichts anders im Sinn haben, als sich das blühende Leben ins Haus zu holen. Und nach oben sehen, wie man an einem Baum hinauf nach oben blicken muss, immer nach oben. Für uns, die wir aufsehen in diesen Tagen und unsere Häupter erheben, weil wir glauben, dass sich unsere Erlösung naht. Immer haben wir zu ihm aufgesehen. Und einmal kam er uns nah.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

01.08.2022
Kathrin Oxen