Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Hunt Han
Die Angst, der Trost, die Hoffnung
von Pfarrerin Angelika Scholte-Reh
25.06.2024 06:20
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Mit der Hand geschrieben hängt ein Satz von Jesus an der Wand eines Krankenhauszimmers: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16,33)

Meine Tante Elsbeth hat das für sich aufgeschrieben und mit einem Streifen Tesafilm dorthin geklebt. Sie war damals an Krebs erkrankt. Meine Mutter hat mich zu dem Besuch mitgenommen, weil Tante Elsbeth und ich uns mochten. Ich sollte die Möglichkeit haben, mich von ihr zu verabschieden. Ich erinnere mich nicht mehr, worüber wir damals gesprochen haben. Aber ich habe noch das Papier an der Wand vor Augen mit diesem Bibelwort in ihrer Handschrift. Es drückte aus, was in der Situation mitschwang: die Angst, der Trost, die Hoffnung.

Natürlich hatte meine Tante Angst. Der Tod macht fast allen Menschen Angst. Er ist der Schritt ins absolut Unbekannte. Gleichzeitig kommt hoch, wie das Leben bislang war: Was gut war und was nicht gelungen ist, das Sinnvolle und das Sinnlose. Wie die Lebensbilanz aussieht, ist sehr individuell und doch ist der Tod der große Gleichmacher. Wir gehen so nackt aus dieser Welt, wie wir gekommen sind. Ob König oder Bettlerin, Professorin oder Landstreicher. Diesen Weg müssen alle Menschen gehen und wie sie ihn gehen, ist einzigartig und persönlich. Was nach dem Tod kommt, können wir nur erhoffen und erahnen. Wir wissen nicht, wie es wirklich sein wird.

Tante Elsbeth hatte den Bibelvers neben das Kreuz gehängt, das in jedem Klinikzimmer zu finden war. Von ihrem Bett konnte sie es sehen. Für sie war es tröstlich, ein Gegenüber zu haben für ihre Angst, für ihre Tränen, manchmal auch für ihren Zorn und das Unsortierte und Unabgeschlossene ihres Lebens.

Von mir selbst weiß ich, wie sehr mich das entlastet und befreit, wenn ich Gott meine Sorgen und Fragen, meine Enttäuschung und meine Hoffnungen bringen kann. Mal setze ich mich hin, falte die Hände und werde still. Mal muss ich rufen und schreien. Mal laufe ich und nehme das Zwiegespräch zwischen Gott und mir mit auf den Spaziergang im Wald. Ich finde Trost, wenn ich mich selbst und meine Gefühle ernst nehme und darauf vertraue, dass Gott mich hört.

Bei Tante Elsbeths Beerdigung hat der Pfarrer über ihren Bibelvers gepredigt. „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Da schloss sich für mich der Kreis. Sie hatte alle Erdenschwere hinter sich gelassen. Jenseits der Schwelle des Todes wartet etwas überraschend Neues und Leichtes. Die Welt ist für die überwunden, die durch diese Tür gehen und ihren letzten Atemzug dem großen Atem Gottes anvertrauen. In dieser Hoffnung ist meine Tante gestorben, mit dieser Hoffnung lebe ich.

Es gilt das gesprochene Wort.