Ein Stück von Gott in uns retten

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Sunguk Kim

Ein Stück von Gott in uns retten
mit Melitta Müller-Hansen
24.03.2022 - 06:20
11.01.2022
Melitta Müller-Hansen
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Keine Waffenlieferung an die Ukraine. Keine Gegenwehr dem Aggressor entgegenbringen. Das hungrige Raubtier Krieg nicht unnötig füttern.

Vom ersten Kriegstag an haben Freunde von uns diesen festen Standpunkt eingenommen: Radikaler Pazifismus. Um unnötige Zerstörung abzuwenden. Um die schönen Städte nicht in Trümmerfelder zu verwandeln. Um Flüchtlingsströme zu verhindern. Um Leben zu retten, nicht Staaten und Regime. Das hat viel für sich und doch: ich habe keine feste Position und nehme es bei vielen anderen auch so wahr. Anette Kurschuss, die EKD Ratsvorsitzende, hat es so auf den Punkt gebracht: Wer sind wir, dass wir den Hilferufen der Menschen in der Ukraine mit Belehrungen begegnen, dass Waffenlieferungen für sie nicht das richtige seien?

Doch wie wird es enden? Die Welle der Solidarität mit der Ukraine in unserem Land ist wunderbar. Doch es entstehen Nebenkriegsschauplätze: alles Russische könnte unter Verdacht geraten. 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren, um Deutschland wehrfähig zu machen. Mir wird da eher bang ums Herz. Der Krieg kann schnell das ganze Leben beherrschen, wie ein Geschwür, das überallhin metastasiert. In die Kinderzeichnungen, in die Träume, in die Familienbeziehungen, in die Gedanken und Gebete.

Die Psalmbeter haben über 90 verschiedene Namen für Feinde gefunden. Über 90. 99 Namen gibt es im Islam für das große unnennbare Geheimnis Gott. Fast genauso herausfordernd und rätselhaft ist wohl für den Menschen der Feind, der Bedränger, Verfolger, Frevler, Lügner. Einmal heißt es: Gott soll dafür sorgen, dass der Feind in die Grube fällt und ausgelöscht werden möge. Die Bibelwissenschaftlerin Ursula Rapp forscht an diesen Psalmtexten und sie entdeckt im hebräischen Urtext: Es ist Gott selbst, der in die Grube fällt. Gott stirbt und zerfällt zu Staub, wenn ich ihn um ein gewalttätiges Ende für meinen Feind bitte. Der Krieg, die Zerstörung darf sich nicht auch noch in unseren Gebeten fortsetzen.

Wie also beten in diesen Tagen? Wie dem Frieden ein Fenster offen halten? Wie „ein Stück von Gott in uns selbst retten“. So nennt es Etty Hillesum. Sie führt in den 40er Jahren, als die Verfolgung von Jüdinnen und Juden auch sie in Holland erreicht, ein Tagebuch. Da schreibt sie:

„Es ist das Einzige, worauf es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.01.2022
Melitta Müller-Hansen