Vergebung

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ J Lee

Vergebung
mit Melitta Müller-Hansen, gesprochen von Julia Rittner-Kopp
25.03.2022 - 06:20
11.01.2022
Melitta Müller-Hansen
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Ich habe sie gerne und immer schon gern gepredigt, die Vergebung. Sie ist ein genialer Zustand, himmlisch, göttlich. Ja! Ich weiß viel darüber – biblische Geschichten, Sätze, die Jesus sagt. Ich weiß, dass die Philosophin Hanna Arendt Vergebung als den genialsten Fokus ansieht im Wirken Jesu. Das Geschehene macht sie nicht ungeschehen. Aber Vergebung macht frei für die Zukunft. Was geschehen ist, soll keine Macht mehr haben über mich.  Ausrufezeichen!

Das Leben hat mich gelehrt, es ist gar nicht so einfach, wenn es um tiefe Verletzungen geht. Wenn es um Gewalt geht. Als junges Mädchen habe ich sie erfahren. Ich habe alles getan, um mit dem, der es mir angetan hat, täglich weiterleben zu können. Ich habe mein Urteil gefällt über ihn und das war vernichtend. Als ich älter wurde und im Theologiestudium Seelsorge kennenlernte, habe ich versucht, alles auch aus seiner Perspektive anzuschauen. Das brachte etwas Bewegung in mein Inneres. Ich lernte die Unterscheidung zwischen Mensch und Tat kennen oder anders: die zwischen Sünde und Sünder. Den Menschen achten, seine Tat verachten. Das half eine Zeitlang. Und doch hat dann jede Nachricht über Gewalt, die Frauen angetan wird, die Wunde aufgerissen.  Männer und Gewalt wurde fast eine Gleichung. Mit der Zeit kreiste ich immer intensiver um diese Erfahrung und kam nicht los davon. Ich musste anklagen, verurteilen. Ich wollte vergeben und konnte nicht und wusste nicht wie. Begleitet hat mich dann ein Arzt. Wie wenn man ein Gerät in seine Einzelteile zerlegt, um es zu reparieren, so habe ich den ganzen Prozess erlebt.  Eine heilsame Dekonstruktion.

Was geschehen ist, kann ich nicht aus der Welt schaffen, auch mit der größten Anstrengung nicht. Das muss ich akzeptieren.

Meine Gefühle von damals im geschützten Raum der Liebe zulassen. Die Scham, dass jemand mit mir so etwas machen konnte. Die Wut. Die Ohnmacht. Ein großer Schmerz.

Und eine Starre. Das Urteil über die Tat und diesen Menschen macht dich selbst hart und starr. In einer Anschuldigung zu verharren über viele Jahre, macht hart. Richtet nicht, überlasst es Gott. Ja, das hilft.

Dann konnte ich verzichten auf das, was am Ende mir selbst schadet. Es war ein Freiwerden. Plötzlich und leicht.

Ich muss nach wie vor nicht dem zustimmen, was damals geschehen ist und was mich sehr verletzt hat. Aber es soll keine Macht mehr über mich haben.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.01.2022
Melitta Müller-Hansen