Pietà

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Kama Tulkibayeva

Pietà
mit Melitta Müller-Hansen, gesprochen von Julia Rittner-Kopp
23.03.2022 - 06:20
11.01.2022
Melitta Müller-Hansen
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Es sind die Mütter mit ihren Kindern, die sich mir eingeprägt haben in diesen Tagen und Wochen. In den U-Bahnschächten von Kiew. Mit Decken, Thermoskannen und der Minimalausstattung für Trost: Umarmungen, Schlaflieder und Geschichten. Mit dem Kinderwagen durch die Stadt laufend, in der schon die Bomben fallen. An Bahnhöfen – mit dem Baby auf dem Arm ein herzzerreißender Abschied vom Ehemann, der bleibt und diesem Krieg vielleicht zum Opfer fällt.

Diese Ohnmacht. Dieses Erdulden. Dieses immer Gleiche, seit Generationen. Eine Frau hat Anfang März das Schweigen gebrochen. Swetlana Petrowskaja. Sie hat selbst Krieg und Flucht als Kind erlebt. Mit ihrer Mutter musste sie aus Kiew fliehen, als deutsche Soldaten die Stadt verwüsteten. In Ängsten, ob sie verloren geht. Heute ist sie über achtzig Jahre alt und entschlossen, in Kiew auszuharren. Sie hat eine Videobotschaft an die Mütter russischer Soldaten veröffentlicht. sie appelliert an die Frauen Russlands, die Wahrheit über diesen Krieg zu verbreiten. Vor allem aber das sinnlose Sterben ihrer Soldatensöhne nicht hinzunehmen. Junge Männer, die gar nicht wissen, warum sie sich in der Ukraine befinden und plötzlich ukrainische Frauen und ihre Kinder töten. Bitte lasst eure Kinder nicht herkommen, zerrt sie heraus aus der russischen Armee. Stoppt diesen Krieg. Rettet eure Kinder.  Wir glauben an euch, wir setzen all unsere Hoffnung auf euch!

Ich hoffe mit Swetlana. Dabei kenne ich die Geschichte einer Mutter, der es nicht gelungen ist, ihren Sohn davon abzubringen, in den Krieg zu ziehen. Es ist die Geschichte von Käthe Kollwitz und ihrem Sohn Peter. Er will mit aller Macht Soldat werden im ersten Weltkrieg. Berauscht wie viele seiner Generation von dem Gedanken, dass dieser Krieg eine Katharsis sein und eine neue Welt schaffen wird. Und es kommt, wie befürchtet. Peter stirbt im dritten Kriegsjahr 1917. Jahre später erschafft Kollwitz die Plastik „Mutter mit totem Sohn“.  So etwas wie eine Pieta, wie eine trauernde Maria mit Jesus im Arm.  Diese Trauernde hält den Leichnam in einer schützend-umfangenden Geste zwischen ihren Knien, sein Kopf ist zurückgefallen und an ihre Brust gelehnt. Mutter und Kind – ein spirituelles Kraftpaket der Liebe. Großformatig steht sie heute in der Neuen Wache Berlin für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Unlängst bin ich davorgestanden, und mich hat tiefe Traurigkeit gepackt. Hört das nie auf?

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.01.2022
Melitta Müller-Hansen