Gewohnheitstier

Wort zum Tage
Gewohnheitstier
19.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit

„Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge“ Auf meinem Nachttisch liegt der Kalender der diesjährigen evangelischen Fastenaktion. Daneben das praktische Begleitbuch. Fasten bedeutet Verzichten. Nicht in erster Linie auf Dinge, die mir Spaß machen, sondern auf Gewohnheiten, die mein Leben beeinträchtigen und einengen, oft ohne dass ich es merke.

 

„Setzen Sie sich bewusst einmal pro Monat einer fremden Umgebung oder etwas Neuem aus!“ empfiehlt mir das Begleitbuch. Und hat mich damit kalt erwischt. Ich schlafe am besten auf ein und demselben Kopfkissen, bestelle im Lokal liebend gerne das stets gleiche Gericht in Verbindung mit meinem Spezialcocktail. Ich besuche am liebsten dasselbe Kino. Ich erwische mich dabei, dass ich in der S-Bahn automatisch den gleichen Platz am Fenster auf der rechten Seite ansteure. Jedes Mal, wenn es an die Planung des Sommerurlaubs geht, muss ich meinem Herzen einen Stoß geben, das sich schon wieder an die Ostsee sehnt, wo wir schon so viele Urlaube in Folge verbracht haben. Im letzten Jahr ging es zur Abwechslung dann nach Schweden. Ich bin ein Gewohnheitstier.

 

Hirnforscher mögen das nicht. Sie haben herausgefunden: Das menschliche Hirn braucht weniger Gewohnheit als Bewegung. Drei B`s sorgen dafür, dass wir geistig fit bleiben: Bewegung, Begeisterung, Befremdung! Von letzterem haben wir jetzt viel in unserem Land. Ich muss gar nicht unbedingt in die Ferne reisen, um eine fremde Kultur, Religion, Sprache oder Speise zu erkunden. Das begeistert nicht nur, sondern sorgt auch für Verunsicherung und Ängste – auch bei mir. Wenn ich mich auf der Fahrt zur Arbeit inmitten einer arabischen Gruppe wiederfinde und kein Wort verstehe. Wenn es an einer Stelle plötzlich anders riecht oder klingt.

 

Kürzlich war ich bei einer Preisverleihung. Ausgezeichnet wurde ein syrisch-orthodoxer Priester aus Berlin. Ein Mann, der das Fremde und die Herausforderung nicht scheut. Seine Gemeindegliederzahl hat sich durch Flüchtlinge aus Syrien binnen kurzem verdreifacht. Er spielt mit evangelischen Pfarrern und muslimischen Imamen Fußball. In seiner Gemeinde hat er einen Mädchenchor gegründet. Bei der Preisverleihung haben sie gesungen. Keine Kirchenlieder, keine Gospel, sondern syrische Volksmusik. Einstimmig, Fremd. Berührend. Beschwingt bin ich an diesem Abend nachhause gezogen und habe gemerkt: In meinem Herz ist noch Platz für viel mehr.

11.01.2016
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit