Scheeler Blick

Wort zum Tage
Scheeler Blick
20.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit

„Siehst Du scheel drein?“ Ich liebe dieses heute so ganz und gar nicht mehr übliche Wort für eine immer noch absolut übliche menschliche Schwäche: „Scheel“, das bedeutet so viel wie neidisch, eifersüchtig, missgünstig. Martin Luther gebraucht den Begriff in seiner Übersetzung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg aus dem Matthäusevangelium. Die bekommen am Ende alle den gleichen Lohn, egal wie lange sie tagsüber geschuftet haben. Da gucken denn viele scheel drein – weil sie nicht mehr kriegen als die anderen, obwohl sie länger und härter gearbeitet haben. Und werden am Ende vom Weinbergbesitzer auch noch gemaßregelt: Siehst Du scheel drein, weil ich so gütig bin?

 

Hand auf`s Herz: Schon einmal scheel geguckt? Ich schon. Der scheele Blick kann sich auf vieles richten:

Auf den Nachbarn, der gleich zweimal im Jahr so große Reisen unternimmt: nach Italien und Amerika. Warum hat der eigentlich so viele Urlaubstage und woher nimmt er das Geld? Auf die noble Einbauküche des befreundeten Pärchens. Bei meiner klemmen die Schubladen und die braune Holzfront war im letzten Jahrhundert mal modern. Auf die Kollegin, die so charmant ist und eloquent und die spielend die Karriereleiter erklimmt. Auf die 75jährige nebenan, die noch so rüstig ist und kerngesund und aussieht als wäre sie erst Ende fünfzig. Auf die Flüchtlingsfamilie, die vor dem Obdachlosen die wärmenden Sachen aus der Kleiderklammer ergattert.

 

„Nur wem Glück und Leben gegönnt waren, kann Glück und Leben gönnen,“ meint der Theologe Fulbert Steffensky. Die Evangelische Fastenaktion „Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge“ lädt zu einem im guten Sinn gönnerhaften Blick ein. Damit der möglich wird, ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, was mir in meinem Leben alles Gutes wiederfahren ist. Vermutlich sind auch einige Dinge darunter, die bei anderen den berühmten scheelen Blick auf mich verursachen.

 

Ich habe einen Notizzettel neben meinen Fastenkalender gelegt. Darauf vermerke ich jeden Abend, was schön war an diesem Tag. Und staune, wie viel mir dabei in den Sinn kommt. Oft kleine, auf den ersten Blick unscheinbare Dinge. Während ich sie aufschreibe, wird mir warm ums Herz. Mein Blick auf mein Leben ändert sich: Er wird freundlich und entspannt.

 

Nur wem Glück und Leben gegönnt waren, kann Glück und Leben gönnen! Den Satz merke ich mir. Und vor dem Spiegel probiere ich aus, wie das geht: scheel gucken, missgünstig, neidisch und verkniffen. Es sieht nicht schön aus. Dann denke ich daran, wie sich beim Mittagsschlaf unsere Jüngste an mich gekuschelt hat mit ihren warmen Kinderhändchen. Ich lächle. Schön sieht das aus. Und fühlt sich gut an. Nicht schal wie der scheele Blick.

11.01.2016
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit