Frühling in Gurs

Wort zum Tage
Frühling in Gurs
29.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Marianne Ludwig

Auf ihrem gemeinsamen Bild überstrahlt das Gelb des Zitronenfalters alle anderen Farben. Wenn man sich darauf konzentriert, wirken selbst das Braun der Lagerstrasse und das Grau des Stacheldrahtes weniger bedrohlich. Der Stacheldraht zieht eine unüberwindliche Grenze: Auf der einen Seite des Zaunes warten Häftlinge auf den Abtransport in Richtung Osten. Auf der anderen Seite leben Menschen, die sich frei bewegen dürfen. Zwei getrennte Welten. Und doch: Ausgerechnet auf diesem Stacheldraht hat sich der Schmetterling niedergelassen. Mit seiner Leichtigkeit, seiner leuchtenden Farbe nimmt er diese Grenze zwischen Leben und drohendem Tod in Beschlag.

 

Ein Bild zum Staunen. Wie ist es möglich, dass Menschen selbst unter schlimmsten Umständen Kunst schaffen? Und warum tun sie es? Die Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin versucht eine Antwort. Bilder wie dieses vom Frühling in Gurs erzählen von der Sehnsucht nach Freiheit, Frieden und unbeschwertem Glück. Manche auch von der Spiritualität der Künstler. In einem Gedicht, das die Ausstellung begleitet, heißt es: „Ihr könnt uns demütigen und töten. Aber meine Seele ist frei.“

 

Die Bibel spricht von der „Freiheit der Kinder Gottes“. Wie der Geist dieser Bilder ist sie unzerstörbar. Denn sie eröffnet Menschen den Zugang zu einer anderen Welt, zur Poesie, zur Malerei, zur Musik. Sie ist wie eine Quelle, die zwar verschüttet werden kann, aber nie versiegt. Die Schwache stärkt und Verwundete verbindet. Die in immer neuen Bildern vom Sieg des Lebens und der Liebe erzählt. „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ schreibt der Apostel Paulus in einem seiner Briefe. In dem Frühlingsbild von Bodek und Löw kann man das sinnlich nacherleben. Nicht nur, weil ein Schmetterling das Ende eines eisigen Winters anzeigt, sondern weil das Bild selbst überlebt hat. „Frühling in Gurs“ – das ist die Geschichte von Überlebenswillen und seelischer Freiheit. Vom Aufstehen und Auferstehen.

11.01.2016
Pfarrerin Marianne Ludwig