Lob des Zweifels

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Aaron Burden

Lob des Zweifels
mit Pastor Diederich Lüken
09.02.2022 - 06:20
06.02.2022
Diederich Lüken
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»So widersinnig es auch klingen mag, der eigentlich Verantwortliche für die Wirkung einer Information ist nicht der, welcher informiert, sondern derjenige, der informiert wird«, sagt die französische Schriftstellerin Nathalie Sarraute. Das ist insofern überraschend, als wir meist geneigt sind, die Verantwortung bei dem zu suchen, von dem die Information kommt; und das ist auch nicht falsch. Es steht in der Entscheidung des Informanten, ob er der Wahrheit verpflichtet ist oder Behauptungen in die Welt setzt, die nur seinem Weltbild folgen und die Wirklichkeit so darstellen oder auch entstellen, wie es seinen eigenen Interessen nützt. Dafür hat sich der Begriff „Fakenews“ eingebürgert, also Falschnachrichten, die erlogen sind. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diejenigen, die Fakenews verbreiten, für ihr Verhalten verantwortlich sind und zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Aber genauso verantwortlich ist der Empfänger oder die Empfängerin der Nachrichten. Sicher, Informationen verschiedenster Art stürmen täglich auf mich ein, keiner kann alles verarbeiten, was ihn erreicht. Und doch liegt es in meiner Verantwortung, die Spreu vom Weizen zu trennen. Denn wenn ein sogenannter Informant die Erfahrung macht, dass ihm niemand sein Zeug abnimmt, wird er damit aufhören. Es ist Sache des Empfängers, wie er mit einer Information umgeht; auch von ihm hängt es mit ab, ob eine Nachricht mit Erfolg verbreitet wird oder im Sande verläuft. Er muss sich fragen, ob der Absender der Wahrheit verpflichtet ist oder nicht. Wie man eine Nachricht sinnvoll bewerten kann, das zeigt ein Ausspruch des französischen Schriftstellers und Philosophen Denis Diderot: »Der erste Schritt zur Wahrheit ist der Zweifel.« Nur wenn eine Nachricht vernünftigem Zweifel standhält, kann sie Wahrheit für sich beanspruchen. Insofern ist der Zweifel ein gutes Instrument, um echte Nachrichten von Fakenews zu unterscheiden. Darum ist er eine Tugend. Als solche gehört der Zweifel durchaus zum christlichen Glauben. Allerdings ist er nach Meinung vieler gerade dort verpönt. Muss man nicht die Aussagen des Glaubens kritiklos hinnehmen? Man muss es nicht. Im Gegenteil: Immer wieder muss ich mich als Christ zweifelnd fragen: Stimmt das, was ich glaube, mit der Wirklichkeit überein? Öffnet es die Augen für die Zustände dieser Welt oder kleistert es sie zu? Erst da, wo der Blick auf die Welt und auf die eigene Existenz geschärft wird, kann man ernsthaft von christlichem Glauben reden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

06.02.2022
Diederich Lüken