Mut

Wort zum Tage
Mut
28.02.2019 - 06:20
07.02.2019
Johanna Friese
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Dort, wo die Besucher in das Gefängnis Berlin-Tegel gehen, findet sich ein großer Spiegel, eingelassen in die Backsteinmauer. Auf dem Spiegel ist der einfache Satz zu lesen: „Was braucht es einem anderen zu helfen?“

Mit dieser Frage haben sich die Inhaftierten beschäftigt, die diese Skulptur mitentworfen haben. Was braucht es, um Menschen zu helfen, die im Gefängnis sitzen.

Der frühere Tegeler Gefängnispfarrer Harald Poelchau könnte dazu einiges erzählen. Mit seinem Leben haben sich die 12 Gefangenen für ihr Kunstprojekt mit Künstlerin Katrin Hattenhauer intensiv beschäftigt.

Der sympathische Seelsorger Poelchau hatte während der Zeit des Nationalsozialismus etwa 1000 Menschen auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung begleitet und ihre Angehörigen getröstet. Er tat das ohne Ansehen der Person, für jeden. Er gehörte zum so genannten Kreisauer Kreis und seine Wohnung wurde für manchen Verfolgten zur letzten Zuflucht. Nie ist seine geheime Arbeit und seine Verbindung zum Widerstand von den Nazis aufgedeckt worden.

Die Gefangenen von heute bescheinigten ihm vor allem eines: Mut. Und diesen Mut wollten sie in ihrem zweiteiligen Kunstwerk auch darstellen. Der beschriftete Spiegel draußen ist ein Erinnerungsort für alle, die vorbeigehen. Harald Poelchau selbst ist als Skulptur im Inneren der Gefängnismauern zu sehen. Ein schmaler Mann, 1,72m groß, aus Stahl ausgeschnitten. Mit Aktentasche geht er durch die Gefängniswand. Denn genau das hat Poelchau damals getan: Er hat die Menschen in ausweglosen Situationen mit der Außenwelt verbunden und so dafür gesorgt, dass sie nicht allein sind.

Mut für die heutigen Insassen der JVA Tegel ist vor allem der Mut, zu dem zu stehen, was sie getan haben. Sie sitzen wegen schwerer Delikte hier mehrere Jahre ein. Mit Schuld und Scham zu leben und miteinander auszukommen, auch dazu gehört Mut. Viel haben sie sich erzählt und mehr und mehr Vertrauen ist gewachsen durch dieses Kunstprojekt rund um die Erinnerung an Harald Poelchau.

Am Ende gab es ein gemeinsames feierliches Essen im Gefängnis mit den Insassen, den Pfarrern und der Künstlerin, die das Projekt ein Jahr lang gemeinsam gestemmt haben. Platz für jeden an einem großen Tisch. Das hätte Harald Poelchau sicher gefallen. Denn er war nach 1945 der erste Sozialpfarrer Berlins.

Und die Erinnerungsskulptur an der Mauer der JVA Tegel ist auch eine für die ganze Stadt: Denn jeder, der im Vorbeigehen in dem Spiegel die Frage liest: „Was braucht es einem anderen zu helfen?“, der sieht darin sich selbst.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

07.02.2019
Johanna Friese