Singen

Wort zum Tage
Singen
22.11.2019 - 06:20
05.09.2019
Michael Kösling
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Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal gesungen? Ich meine, nicht nur so gedankenverloren gesummt oder zaghaft gepfiffen? Sondern so aus voller Kehle – unter der Dusche oder allein in der Wohnung? Vielleicht sogar zusammen mit anderen, bei einem Fest oder im Chor? Was war das für ein Lied? Solange es Menschen gibt, singen sie, verleihen ihren Gefühlen, Ängsten oder Träumen Töne, eine Melodie, einen Rhythmus. Die moderne Hirnforschung hat herausgefunden, dass beim Singen die geringste Angstfrequenz gemessen wird, besonders wenn man dabei steht. Das, was die meisten als kleine Kinder intuitiv taten, wenn sie mit einer Melodie auf den Lippen in den dunklen Keller mussten, ist also wissenschaftlich bestätigt. Singen nimmt die Angst. Ein Melodie, ein Lied kann ein Kraftfeld erzeugen, das unser Herz und unsere Seele in Schwingungen versetzt, uns aufrichtet und mutig macht. In ein Lied können wir manchmal unser ganzes Leben legen. Der Dichter Jochen Klepper notiert an seinem sechsunddreißigsten Geburtstag 1939 unter der Bedrückung durch das nationalsozialistische Regime in seinem Tagebuch: Jeden Tag studiere ich ein Kirchenlied. Heute war, welch ein Geburtstagslied!, an der Reihe: Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr meines Herzens Lust von Paul Gerhardt. Mitten in einer finsteren Zeit birgt sich der Dichter in Lieder. In Lieder, die vor ihm schon durch Jahrhunderte gesungen wurden und die viele auch heute singen. Schutzräume, Kraftfelder. Mit unseren Liedern halten wir an der Verheißung des Wunders fest, dass auch an uns geschehen soll. Wir singen uns mit einem Lied in unsere Wünsche und Träume und in unsere Zukunft hinein. Wir liegen, sozusagen, Gott im Ohr. Wir ehren. Wir singen so wie wir geworden, wie uns das Leben mitgespielt hat und Gott uns begegnet ist: Kleine und Große, laut und leise, Traurige und Fröhliche, in Schuld verstrickte und die, bei denen es gerade ganz gut läuft, Versöhnte und Streitende, neben Kranken und Gesunden. Wir können unsere Stimmen erheben und von Gott und seiner Geschichte mit uns singen. Voller Hingabe. Der Gesang macht uns von innen her weit und verbindet uns mit dem Wunder des Lebens.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.09.2019
Michael Kösling