Vertauen wagen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Joshua Hoehne

Vertauen wagen
von Vikarin Sabrina Fabian
03.04.2024 - 06:20
21.02.2024
Vikarin Sabrina Fabian
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Die gedruckten Postkarten sind rechtzeitig geliefert worden. Der Kollege und die Kollegin sind erleichtert. Sie hatten die Postkarten recht knapp bestellt, aber nun sind sie zum Glück da. Einer macht das Paket auf, beide schauen hinein. Ruckartig wandelt sich die Erleichterung in einen kleinen Schock. „Vertauen wagen“ steht da auf den Karten im Karton vor ihnen. „Vertauen wagen“ statt „Vertrauen wagen“ – ein „r“ fehlt.  Wie ärgerlich!

Sie nehmen Karten aus dem Paket, wenden sie vor sich. Ansonsten sehen die Karten gut aus. Das Bild ist schön klar und scharf gedruckt. Der Text auf der Rückseite stimmt. Wenn da nur kein „r“ fehlen würde – so riesig vorne.

Wenn überhaupt, dann fragen sie sich nur innerlich: Wer hat das denn vermasselt? Hab ich das fehlende „r“ übersehen? Wem ist die Korrektur durchgegangen?

Aber keiner von ihnen spricht diese Fragen aus, stattdessen lassen sie ihre Fantasie sprechen:

„Vertauen wagen – das könnte doch meinen, dass man es wagt Verbindungen einzugehen“, überlegt der Kollege laut. „Vertauen von Tau, mit dem man ein Schiff festbindet. Vertauen wagen. Das ist dann gar nicht so weit entfernt von dem, was wir mit „Vertrauen wagen“ meinten.“

„Oder“, steigt die Kollegin mit ein. „Vertauen kommt von tauen, wie Eis, das auftaut.“ Vertauen wagen ist dann, wenn man sich traut, etwas preiszugeben. Etwas, um das man normalerweise eine dicke Eisschicht gelegt hätte. „Auch das passt zu Vertrauen“ ergänzt die Kollegin. „Denn wer vertraut, vertraut auch häufig etwas von sich an und gibt etwas preis.“

Sie rätseln noch eine Weile, wie ihr eigentlicher Vertipper doch zu einem passenden Produkt werden kann. Dann beschließen sie, eine weitere Bestellung aufzugeben. Expresslieferung diesmal, denn sie sind immer noch spät dran.

Ich höre den beiden gespannt zu. Ich war in diesen Bestellprozess nicht eingebunden, weil ich bei einer Fortbildung war. Aber selbst aus meiner Außenperspektive fesselt mich dieser Austausch über Vertrauen und Vertauen, den die beiden sogar leben. Sie vertrauen sich als Kollege und Kollegin. Wie herrlich die beiden zusammen scheitern können. Denn niemand macht dem anderen Vorwürfe. Sie machen weiter, lassen sich von der Lage inspirieren. Sie überlegen sofort, wie sie produktiv mit der Situation umgehen könnten.

Ein paar der Karten mit der Aufschrift „Vertauen wagen“ haben die beiden behalten. Vielleicht, um einander daran zu erinnern, dass sie miteinander sowohl Vertrauen als auch Vertauen wagen können.

Es gilt das gesprochene Wort.

21.02.2024
Vikarin Sabrina Fabian