Vom Klang der Seele

Wort zum Tage
Vom Klang der Seele
05.07.2016 - 06:23
04.07.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen

Es ist- sagen wir- Dienstagabend, 19.30 Uhr. Etwa 80 Frauen und Männer atmen gemeinsam tief ein und aus, lassen ihre Schultern kreisen, trainieren das Zwerchfell und formen einen ersten gemeinsamen Ton. Angekommen in der Welt des Chorsingens. Für zweieinhalb Stunden gehört ihre Zeit einem Komponisten und seinem Werk. Das ist für etwa 3 Millionen Menschen in unserem Land so. Ich gehöre zu ihnen. Woche um Woche die eigene Stimme zu schulen ist eine tiefe menschliche Erfahrung. Dieses Organ, das wie unsere Seele auch, nicht wirklich an einem Punkt, an einem Ort unseres Körpers zu verorten ist. Sie ist das Urinstrument, das unmittelbarste Ausdrucksmittel nicht nur für Emotionen und Seelenzustände. In unserer Stimme offenbart sich unser Wesen. An mir selbst nehme ich das manchmal wahr, deutlicher aber bei meiner Freundin zum Beispiel, neben der ich bei den Chorproben sitze. Wenn ich sie singen höre, kommt etwas Klares, Helles zum Vorschein, das ich sonst an ihr so nicht sehe oder höre.

 

Beim Singen kommuniziere ich mit mir selbst. Es öffnet mich für das, was der Apostel Paulus den inneren Menschen nennt: der nicht von mir selbst geformte sondern von Gott geschenkte innere Mensch. Und ich kommuniziere mit anderen: intensiv mit denen, die mit mir singen, mit dem Dirigenten, mit dem Komponisten, der ein Stück geschrieben hat, mit seiner Zeit. Und manchmal oder immer wieder ist es für mich so, als hörte ich Gott selbst in der Musik mit mir, mit uns sprechen.

 

Musik bedient sich zwar strengster Gesetzmäßigkeiten, lebt von Präzision, die sich nur durch beharrliches Üben einstellt, sie lebt von der Konzentration der Sänger und Musiker, sie hat in dem Sinne mit Ordnung und Strenge zu tun, und ist immer auch ein große kognitive Leistung von Menschen. Aber sie überschreitet die Grenzen, in denen sich all das abspielt. Die Musik ist d i e Sprache, die beides verbindet: Verstand und Gemüt, rechte und linke Gehirnhälfte, Menschliches und Göttliches. Sie trennt nicht, wie Wörter trennen können oder Dogmen und Bekenntnisse, mit denen Religionen erkannte Wahrheiten über Gott zum Ausdruck bringen wollen. Und deswegen macht Musik auch die schönsten Gemeinschaftserlebnisse möglich und schult zugleich unser Sozialverhalten. Nirgendwo sonst lernt man es so gut, seinen Platz unter anderen zu finden und auch einzunehmen, wie in einem Chor oder einem Orchester: die eigene Stimme ist wichtig, aber sie muss sich einfügen in den Gesamtklang, andere nicht übertönen wollen. Dann kann Musizieren eine Erfahrung sein von Leben, wie es sein soll, von göttlicher Harmonie, von stimmiger Ordnung und Schwingung, ja, von Himmel auf Erden.

04.07.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen