Von der Magie des Glücks

Wort zum Tage
Von der Magie des Glücks
03.09.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Michael Becker

Aufschreiben tut ihm gut. Er sitzt am Brunnen und schreibt: Glück ist flüchtiger als Unglück. Er mag sein neues Notizbuch und den Stift. Glattes Papier, der Einband schwarz und stabil. Dazu scheint die Sonne. Ein perfekter Tag. Als er das spürt, schreibt er schon den zweiten Satz: Kleines Unglück haftet länger an einem als großes Glück. Die Worte fließen ins Buch. Schon lange ist  er verwundert über sich. Seine Seele flattert im Wind, als habe sie keinen Halt. Das macht ihm zu schaffen. Äußerlich ist nichts. Er ist gesund, verdient Geld und hat eine Familie. Innerlich aber ist oft schwere See, wie er das nennt. Hier ein Problem, dort schlechte Laune. Im Büro klagt jeder sein Leid. Er auch. Das kostet Nerven. Überall viel Wind, findet er. Die Magie des Unglücks tut ihr Werk. Schon kleines Unglück ist hartnäckig. Und er mitten drin wie ein Blatt, mit dem der Wind spielt. Was tun?

 

Er kauft sich ein Notizbuch. Es muss auch eine Magie des Glücks geben, denkt er. Wenn Glück flüchtiger ist als Unglück, will er dagegen steuern. Will sich sein Glück bewusst machen. Unglück haftet von selbst, Glück muss man festhalten. Das macht er jetzt: Aufschreiben. Festhalten. Er will ein Glückstagebuch. Und hineinschreiben, was gut war, hilfreich. Was ihn weiterbringt, auch wenn es womöglich schmerzt. Dem Glück seinen Wert geben. Gegen die Flüchtigkeit, gegen das Übersehen des Unscheinbaren. Wenn ich mein Glück beschreibe, denkt er, wird nichts besser. Aber ich werde anders. Wer sein Glück kennt, sieht anders auf ein Unglück. Empfindet anders. Behandelt es anders. Nicht schicksalsergeben. Eher mutig, zupackend. Ich will nicht nur hinnehmen. Ich will auch verwandeln, was sich verwandeln lässt.

 

Schon steht wieder ein Satz im Notizbuch, der heißt: Mein Glück ist, was ich dafür halte. Das gefällt ihm. Ein klarer Blick. Dem Glück auf der Spur. Die Seele beruhigt sich, wenn er im Glückstagebuch schreibt oder liest. Immer noch zerrt einiges an ihm. Aber seine Seele ist fester geworden, gewisser, findet er. Er freut sich über den Einfall mit dem Glückstagebuch. Wer weiß, woher der kommt. Einfälle macht man ja nicht, Einfälle bekommt man, denkt er. Dabei schaut er umher, als suche er nach Gott.

25.06.2015
Pfarrer Michael Becker