Wahrheit hilft heilen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Diego San

Wahrheit hilft heilen
mit Ulrike Greim
11.07.2022 - 06:20
11.06.2022
Ulrike Greim
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Wie hast Du das eigentlich überlebt? Wie hast Du es geschafft, eine erwachsene, starke Frau zu werden? Dich immer noch in der Kirche zu engagieren – trotz alledem?

Sie holt ganz tief Luft, schaut wie abwesend zur Seite aus dem Fenster, dann auf den Boden, knetet ihre Finger. Dann lehnt sie sich zurück und schaut mich an. „Das Leben ging einfach immer weiter. Es hat mich keiner gefragt. Ich bin einfach immer den nächsten Schritt gegangen.“

Sie war acht, als es das erste Mal passiert ist. Ihre Erinnerung ist verschwommen. Es war ein Pfarrer. Sie hört nur noch das Lachen. Und die Kommentare. Sie solle sich nicht so haben. Er wolle ihr die Liebe Christi leiblich erfahrbar machen.

All das erzählt sie ungerührt, als ob sie über jemanden anderes spricht. Dann schweigt sie wieder. Der Leib – pfff! Wie lange hatte sie gebraucht, zu begreifen, dass dies eine schwere Straftat ist? Zu verstehen, dass ihr Leib ihr gehört und niemand sonst darüber bestimmen darf? „Ich musste sehr erwachsen werden, bis ich das das erste Mal begriffen habe,“ sagt sie. „Krankheiten haben mir geholfen. Und der Unfall.“ Sie konnte länger nicht gehen, musste es wieder lernen – von Leuten, die respektvoll mit ihr umgegangen sind, die ihr halfen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sich auszutarieren. Zu lernen, dass sie eine Hüfte hat. Und dass die gut ist. Und niemand sie berühren darf, außer, dass sie es ausdrücklich will. Jeden Zentimeter hat sie sich mühsam zurückerobert. Manchmal kommt sie sich wieder abhanden. Doch sie weiß, dass sie sich zurückgewinnen kann. Die Liebe Christi – wird sie je wieder solche Begriffe neu und anders hören können? Mit dieser perversen Idee dieses alten Herren war das pure Gift in ihre Seele geschwemmt worden. Kann man spirituell detoxen?

Sie sagt, es war und ist ein langer Weg. Es war zum Beispiel die Musik, es waren die guten alten Lieder, die ihr später ein anderes Gottesbild möglich gemacht haben. Vom Gott, der eine Sonne ist. Das kann sie nehmen. Der sie aufwärmt, der alles blühen lässt. Der verwandeln kann. Aber es ist mühsam. Als sie merkt, dass sie nicht die einzige ist, atmet sie auf. Zu hören, wie andere an die Öffentlichkeit gehen, wie Täter beim Namen genannt werden, das hilft heilen. Sie wird es nicht tun. Nichts sagen. Sie hat genug zu tun, sich zu schützen. Aber ihr wird leichter bei jedem Satz, der ans Licht kommt.

Das Licht. Gott ist Licht und Wahrheit.

Diesem Gott kann sie sich anvertrauen.

Wie hast Du das eigentlich überlebt? Wie hast Du es geschafft, eine erwachsene, starke Frau zu werden? Dich immer noch in der Kirche zu engagieren – trotz alledem?

Sie holt ganz tief Luft, schaut wie abwesend zur Seite aus dem Fenster, dann auf den Boden, knetet ihre Finger. Dann lehnt sie sich zurück und schaut mich an. „Das Leben ging einfach immer weiter. Es hat mich keiner gefragt. Ich bin einfach immer den nächsten Schritt gegangen.“

Sie war acht, als es das erste Mal passiert ist. Ihre Erinnerung ist verschwommen. Es war ein Pfarrer. Sie hört nur noch das Lachen. Und die Kommentare. Sie solle sich nicht so haben. Er wolle ihr die Liebe Christi leiblich erfahrbar machen.

All das erzählt sie ungerührt, als ob sie über jemanden anderes spricht. Dann schweigt sie wieder. Der Leib – pfff! Wie lange hatte sie gebraucht, zu begreifen, dass dies eine schwere Straftat ist? Zu verstehen, dass ihr Leib ihr gehört und niemand sonst darüber bestimmen darf? „Ich musste sehr erwachsen werden, bis ich das das erste Mal begriffen habe,“ sagt sie. „Krankheiten haben mir geholfen. Und der Unfall.“ Sie konnte länger nicht gehen, musste es wieder lernen – von Leuten, die respektvoll mit ihr umgegangen sind, die ihr halfen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sich auszutarieren. Zu lernen, dass sie eine Hüfte hat. Und dass die gut ist. Und niemand sie berühren darf, außer, dass sie es ausdrücklich will. Jeden Zentimeter hat sie sich mühsam zurückerobert. Manchmal kommt sie sich wieder abhanden. Doch sie weiß, dass sie sich zurückgewinnen kann. Die Liebe Christi – wird sie je wieder solche Begriffe neu und anders hören können? Mit dieser perversen Idee dieses alten Herren war das pure Gift in ihre Seele geschwemmt worden. Kann man spirituell detoxen?

Sie sagt, es war und ist ein langer Weg. Es war zum Beispiel die Musik, es waren die guten alten Lieder, die ihr später ein anderes Gottesbild möglich gemacht haben. Vom Gott, der eine Sonne ist. Das kann sie nehmen. Der sie aufwärmt, der alles blühen lässt. Der verwandeln kann. Aber es ist mühsam. Als sie merkt, dass sie nicht die einzige ist, atmet sie auf. Zu hören, wie andere an die Öffentlichkeit gehen, wie Täter beim Namen genannt werden, das hilft heilen. Sie wird es nicht tun. Nichts sagen. Sie hat genug zu tun, sich zu schützen. Aber ihr wird leichter bei jedem Satz, der ans Licht kommt.

Das Licht. Gott ist Licht und Wahrheit.

Diesem Gott kann sie sich anvertrauen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Ulrike Greim