Das Schlimmste überhaupt

Das Schlimmste überhaupt
mit Theologieprofessorin Julia Enxing
16.04.2022 - 23:45

Neulich sitze ich im Café. Vor mir steht ein Espresso, unter meinem Tisch liegt meine Hündin Lucy. Am Tisch nebenan sitzt eine sehr bunt gekleidete, fröhliche Frau und unter ihrem Tisch, auf einer Decke: ihre kleine Tochter Mia. Mia robbt langsam und mit einem Keks in der Hand auf Lucy zu. Ich lächle die Mutter an, wir kommen ins Gespräch und irgendwann frage ich sie, ob Mia ihr einziges Kind ist.

Sie zögert kurz, blickt auf und sagt: Es war meine siebte Schwangerschaft, aber Mia ist die erste, die überlebt hat. In dem Moment schauen wir beide auf Mia. Mia lacht gerade Lucy an … mit ihren zwei winzigen Zähnchen. 

Ich sehe Mias Mutter und merke, ich kann mir nicht vorstellen, was das bedeutet. Was es bedeutet, wenn die eigenen Kinder vor einem sterben. Die eigenen Kinder zu beerdigen? Das muss das Schlimmste überhaupt sein. Ich denke an die Eltern, deren Kinder krank sind und an die, deren Kinder durch Gewalt sterben. Das Schlimmste überhaupt.

Ich denke an die, denen das Leben genommen wird und an die, die sich das Leben nehmen. An die, die nicht leben können und an die, die nicht leben wollen. Das Schlimmste überhaupt.

Ich denke an die Mütter und Väter, deren Kinder im Krieg kämpfen und an die, deren Kinder aus diesem Krieg nicht zurückkehren. Das Schlimmste überhaupt.

Mir kommt ein Satz der Dichterin Mascha Kaléko in den Sinn: „Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur. Doch mit dem Tod der andern muss man leben.“

Doch wie?, frage ich mich. Wie soll das denn bitte gehen?

Und dann denke ich an Ostern und habe die Kreuzigungsszene vor Augen. Maria schiebt sich in meinen Bildvordergrund. Hat nicht auch sie ihrem Sohn beim Sterben zusehen müssen? Hat nicht auch sie nichts tun können, um den Tod ihres Sohnes zu verhindern?

Und in dem Moment merke ich: Der Vergleich hinkt. Maria hat die Auferstehung ihres Sohnes miterlebt. Sie war die erste am leeren Grab. Sie hat Ostern erlebt, für sie ist die Nacht der Nächte gut ausgegangen.

Und die anderen? Die Trauernden? Die Traurigen? Die Verzweifelten? Wann feiern sie Ostern – das Fest des Lebens, des Lichtes und des Neubeginns?

Ich weiß es nicht.

Aber ich erlebe: Ostern kann Kraft geben. Auch ich kann – trotz der dunklen Nächte – im Jahr 2022 davon zehren, dass Jesus auferstanden, am Morgen wiederaufgestanden ist.

Ja, es gibt eine Kraft Gottes, die auch mich immer wieder auf die Füße stellt. Diese (zarte) Ostererfahrung wünsche ich Ihnen von Herzen.