Umkehr

Umkehr
mit Pfarrer Benedikt Welter aus Trier
09.04.2022 - 23:35
03.03.2022
Benedikt Welter

Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.

„Wir sind gescheitert“. Mit diesen Worten hat Bundespräsident Steinmeier Anfang der Woche eine Bilanz gezogen. Eine Bilanz, die aufhorchen lässt. Geht es doch um seine und Deutschlands Politik im Verhältnis zu Russland – seit Jahrzehnten. Ok. Steinmeier bekennt und steht zu seinen Fehlern. Ungewöhnlich, eine solche Umkehr im Tagesgeschäft eines Spitzenpolitikers.

Ich sage bewusst „Umkehr“. Das ist ein biblisches Wort. Zugleich ist Umkehr DAS Wort in diesen Wochen der Fastenzeit oder Passionszeit.

Da stellt sich der Bundespräsident vor Kameras und Presseleute und räumt ein: Ich habe in meinen Spitzenämtern die politische Lage im Verhältnis zu Russland falsch eingeschätzt. Das ist weder alltäglich noch banal. Aber der Krieg in der Ukraine verändert die Sicherheiten von Frieden und Krieg, von Gegenwart und Zukunft - auch meine Sicherheiten.

Ich spüre: hier geht es um mehr, als dass Politiker und Politikerinnen in Spitzenämtern „umkehren“. Sie vertreten diese Gesellschaft; und dann bin doch auch ich dabei, irgendwie umzukehren – aber wohin?

Eine Antwort gibt der Palmsonntag morgen. Damit beginnt für die Christenheit die Karwoche. Die wichtigste Woche im Jahr. Oft habe ich die schon feiern dürfen. In den letzten Jahren eingeschränkt durch Corona und jetzt unter dem Schatten eines Krieges in Europa.

Sehr oft habe ich das Hosianna gesungen, wie damals, als Jesus nach Jerusalem hineinritt. Auf einem Esel zwar, aber als König verehrt. Ein neuer König, wie ein Mensch ihn träumt: einer, der endlich mal den Mächtigen in die Parade fährt; der alles neu ordnet – am liebsten nach MEINEN Vorstellungen.

 

„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“, sagt aber genau dieser Jesuskönig vor Pilatus, dem römischen Machthaber, der ihn seine Macht über Leben und Tod bitter spüren lässt. Wie oft habe ich in den Karwochen meines Lebens diesen Satz gehört, gelesen – und überhört. „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt!“

Dieser König weist auch meine Phantasien von guter Macht und friedvoller Weltordnung von sich. Dieser König lässt mich sogar darüber erschrecken, dass ein ewiger Friede auf dieser Welt wohl unmöglich bleibt. Zu wenig Umkehr. Zu viel Sturheit.

Aber der Jesus-König reißt mich auch heraus aus so einer schicksalsergebenen Ohnmacht: „Ecce homo“ – „Seht den wahren Menschen“, sagt der gleiche Pilatus, als er den frisch Gefolterten einer tobenden Volksmasse präsentiert.

Dieser König – ohne Königreich von dieser Welt – lenkt meinen Blick weg von der Macht und den Mächtigen hin zum geschundenen Menschen. Das heißt für mich Umkehr. Immer wieder. Dahin gehört meine Energie. Da muss ich aufpassen, dass unsere oft so schwerfällige und komplizierte Gesellschaftsordnung – welch garstiges Wort – erhalten bleibt und noch viel besser wird. Der Blick auf die geschundenen Menschen und aktives Handeln mit ihnen und für sie ist und bleibt möglich.

Ich will umkehren und kann es hoffentlich auch, weil ich auf den Jesus-König mit der Dornenkrone mehr setze als auf jede andere Macht. Jetzt erst recht.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Palmsonntag.

03.03.2022
Benedikt Welter