Das Wort zum Sonntag: "Grenzöffnung"

Das Wort zum Sonntag: "Grenzöffnung"
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
08.11.2014 - 23:35

Tief beeindruckt!

 

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, tief beeindruckt war ich als Teenager vor 25 Jahren angesichts der Bilder, die ich von der friedlichen Revolution und der Öffnung der Berliner Mauer am Fernseher mit verfolgen konnte. Und bald darauf erschienen die ersten Trabbis und Wartburgs auch in meiner Heimatstadt.

 

Derzeit gibt es unzählige Erinnerungsfeiern, es gibt Events und spannende  Reportagen über die Arbeit der Opposition in der DDR. Und ich bin bis heute tief beeindruckt, dass diese friedliche Revolution und damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Deutschen Einheit so möglich war. Bis heute bekomme ich bei diesen Bildern ein bisschen „Gänsehaut“. Gerade auch mit Blick auf die mit Gewalt verbundenen Revolutionen in anderen Ländern oder auf die bislang so vergeblichen Bemühungen Oppositioneller in China kann ich auch ohne eigene Verdienste auf diese Ereignisse in unserem Land nur dankbar schauen.

 

Klar, es gibt auch Menschen, für die mit dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR  eigene Ideale und Lebenspläne zerstört wurden. Es gibt diejenigen, denen am 09. November ganz und gar nicht zum Feiern zumute ist – bis heute. Diejenigen, denen mit der Mauer eine Welt, ein Leben zerbrach.

 

Wer auch sie mit in den Blick nimmt, dem wird klar, dass mit dem Mauerfall als großem Symbol für den friedlichen und effektiven Wandel bis heute die Aufgabe verbunden ist, sich den großen Herausforderungen des Zusammenlebens gemeinsam zu stellen.

Beim Einreißen der Mauer mag es vor 25 Jahren vielen um die Veränderung der Verhältnisse, sicher auch um Reisefreiheit gegangen sein. Mauern einzureißen bedeutet aber auch, sich immer wieder neu gegen die Versuchung zu stemmen, kleinkariert und mit Mauern im Kopf auf das Leben zu schauen. Dieses Einreißen von Mauern und Schranken finde ich in der Praxis Jesu, wie sie in der Bibel beschrieben wird. Für mich ist es immer wieder stark, wie Jesus auf die Menschen zugeht, von denen sich andere abwenden: kranke Menschen, unsympathische Typen oder einfach diejenigen, deren Lebensplanung in die Brüche gegangen ist. Dieses Zugehen ist auch ein Überwinden von Mauern!

Und ich erlebe dieses Überwinden von Mauern, wenn Menschen sich z.B. in meiner Kirchengemeinde in Hannover engagieren, damit Flüchtlinge, die in unseren Stadtteilen unterkommen, gut begleitet sind und Hilfe bekommen. Sie suchen das Gespräch mit denen, die doch kaum deutsch sprechen. Oder sie helfen bei den Hausaufgaben und Behördengängen. Auch solch ein Engagement bedeutet, Mauern zum Fallen zu bringen, nicht nur die aus Stein. 25 Jahre nach dem Berliner Mauerfall sind es vielleicht Mauern aus Vorurteilen, etwa gegenüber Flüchtlingen oder Menschen mit gescheiterten Lebensentwürfen. Solche Mauern zu überwinden, das kann heißen, offen und zugewandt auf Menschen zuzugehen und in Kontakt zu kommen. Und diese Offenheit will immer wieder eingeübt und trainiert werden. Das kenne ich von mir selbst: Da gibt es eigene Schüchternheit, die mich zurückhält. Da gibt es Bedenken oder anderes, was meine Offenheit einschränkt.

Das Erinnern an den Fall der Mauer in Berlin kann auch ein geeigneter Anlass sein, die Mauern bei mir selbst kritisch wahrzunehmen. Sich dazu gegenseitig zu ermutigen, das wünsche ich uns für den morgigen 9. November!