Mitgefühl. Ein altes Wort, das es aber wieder viel mehr braucht in einer Welt, die immer unbarmherziger wird.
Sendung nachlesen:
"Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan." (Matthäus 25,40) Das sagt Jesus. Elementare Worte in einer unbarmherziger werdenden Zeit. Worte von Barmherzigkeit und Mitgefühl. Wichtig, um andere Menschen zu verstehen, um ihren Schmerz und ihre Angst mitfühlen zu können.
Mariann Edgar Budde, die anglikanische Bischöfin von Washington D.C., hat diese Worte ernstgenommen. Sie hat Ende Januar an den frisch eingeführten Präsidenten der USA appelliert, Mitgefühl zu entwickeln: für die Ängste der Einwanderer, die auf seine Anweisung hin abgeschoben werden sollten. Für die Ängste queerer Menschen. Die Bitte der Bischöfin um Mitgefühl stieß auf taube Ohren.
Denn die Bitte ist vergeblich, wenn Barmherzigkeit bei der eigenen Familie, der eigenen Sippe, Nation oder Volksgruppe endet. Jesus aber meint mit den geringsten Brüdern und Schwestern auch die Anderen, die Fremden, diejenigen, die vermeintlich nicht dazu gehören. Jesus sagt zu denen, die Barmherzigkeit walten lassen: "Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen." (Matthäus 25,35)
Mitgefühl kann man lernen. Den Schmerz der anderen mitzufühlen, ist die Grundlage jeder Seelsorge. Und Seelsorge ist eine Kernaufgabe der Kirche.
Die Theologin Nika Höfler hat zu diesem Thema ihre Doktorarbeit geschrieben. Sie wollte wissen: Welche Wirkung hat es, wenn ein Mensch für einen anderen da ist, zuhört, mitfühlt? Dafür hat sie Gesprächsprotokolle von Klinikseelsorgern und Klinikseelsorgerinnen ausgewertet. Deren Beruf ist es, sich einzufühlen in die Situation und Gefühle anderer.
Ein Ergebnis von Nika Höflers Forschung: Es ist wichtig, offen zu sein für die Verletzlichkeit seines Gegenübers. Leben ist zerbrechlich. Wer für Menschen in Krisen da sein will, muss sich mit der eigenen Verletzlichkeit auseinandersetzen. Denn das verbindet Seelsorgerin und Ratsuchenden. Verletzlich sind sie beide. Sie teilen die Erfahrungen von Not und Trauer und die Angst vor der eigenen Endlichkeit.
Nika Höfler nennt das – etwas sperrig – die "Vulnerabilitätskompetenz", also die Fähigkeit, die eigene Verletzlichkeit zu kennen und Verständnis aufzubringen für die Zerbrechlichkeit eines anderen Menschen.
Ich glaube, Gott macht uns das vor. Gott selbst hat sich verletzlich gezeigt: Schon im neugeborenen Kind Jesus. Bedürftig von klein auf, ohne festes Dach über dem Kopf, bedroht von der römischen Besatzungsmacht. In diesem hilflosen Wesen ist Gott auf die Welt gekommen.
Auch wenn Jesus machtvoll gepredigt und gehandelt hat, so war er doch verletzbar. Nicht Stärke und Gewalt zeichnen Jesus aus. Oft wurde er angefeindet, und er starb einen qualvollen Tod am Kreuz. Aus dem ihn Gott auferweckt hat. Wir kommen von Ostern her. Jesus ist auferstanden. Der sich in seinem irdischen Leben so verletzlich wie barmherzig gezeigt hat. Der mitfühlen konnte mit dem Leid anderer. Der nicht den starken Mann markieren musste.
Leider hat es Konsequenzen, wenn jemand seine schwache Seite ignoriert, seine eigene Verletzbarkeit leugnet. Dann landet er schnell auf der Seite derer, die ihre eigene Schwäche in anderen zu bekämpfen suchen. Auch diejenigen, die zerstörerisch agieren, anderen Gewalt antun, sind verletzliche Menschen. Das verdrängen viele. Und schlagen stattdessen zu. Oft sind es Männer. Die Verherrlichung männlicher Stärke, sogenannte toxische Männlichkeit wirkt zerstörerisch. Sie schadet beiden, Opfer und Täter.
Das Leben Jesu ist ein Gegenentwurf zum Prinzip der Stärke um jeden Preis. Seine Botschaft heißt: Seid barmherzig. Was ihr einem meiner geringsten Mitmenschen getan habt, das habt ihr mir getan. In Jesus finde ich mich mit meinen Ängsten wieder. Das sensibilisiert für die Schwäche anderer. In der Verletzlichkeit Jesu begegnet uns Gott – und fühlt mit.
Es gilt das gesprochene Wort.
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!