Bild: Jean-Baptiste de Champaigne - Supper at Emmaus
"Da wurden ihre Augen aufgetan."
Unterwegs nach Emmaus
22.04.2019 07:05
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Heu­te um 10 Uhr wer­de ich mich mit Freun­din­nen und Freun­den aus Ber­lin auf dem klei­nen Dorf­bahn­hof von Pill­gram tref­fen. Gut zwei Stun­den wer­den wir durch den Stadt­forst von Frank­furt (Oder) bis nach Ro­sen­gar­ten wan­dern. Dann fei­ern wir ei­nen klei­nen Got­tes­dienst und ge­nie­ßen „Pas-cha“, die rus­si­sche Os­ter­spei­se. Mit die­ser Tra­di­ti­on am Os­ter­mon­tag er­in­nern wir an die bib­li­sche Em­maus­ge­schich­te. Der klei­ne Ort Em­maus liegt el­fein­halb Ki­lo­me­ter von Je­ru­sa­lem ent­fernt. Auf die­ser Stre­cke, so wird er­zählt, be­geg­nen zwei Jün­ger dem auf­er­stan­de­nen Je­sus. Eine ge­heim­nis­vol­le Ge­schich­te, sie lau­fen ne­ben ihm her, ohne ihn zu er­ken­nen. In kur­zen Ab­schnit­ten wer­den wir uns die­se Os­ter­er­zäh­lung an vier Sta­ti­o­nen vor­le­sen, wer­den ver­su­chen sie zu ent­schlüs­seln und mit un­se­ren Le­bens­er­fah­run­gen ver­bin­den. Ich möch­te Sie ein­la­den, mei­nen As­so­zi­a­ti­o­nen in der nächs­ten hal­ben Stun­de zu fol­gen. Die Mu­sik, die Sie hö­ren wer­den, sind Tei­le der By­zan­ti­ni­schen Os­ter­li­tur­gie in deut­scher Spra­che.

 

Und sie­he, zwei von ih­nen gin­gen an dem­sel­ben Tage in ein Dorf, das war von Je­ru­sa­lem etwa zwei Weg­stun­den ent­fernt; des­sen Name ist Em­maus. Und sie re­de­ten mit­ei­nan­der von al­len die­sen Ge­schich­ten. Und es ge­schah, als sie so re­de­ten und sich mit­ei­nan­der be­spra­chen, da nah­te sich Je­sus selbst und ging mit ih­nen. Aber ihre Au­gen wur­den ge­hal­ten, dass sie ihn nicht er­kann­ten.

 

Man fragt sich, war­um er­ken­nen die Ge­fähr­ten ih­ren Meis­ter nicht. Hat er sich so ver­än­dert, ist er ein ganz an­de­rer ge­wor­den mit der Auf­er­ste­hung? Ganz so glatt und ge­rad­li­nig, wie sich vie­le Chris­ten die Auf­er­ste­hung vor­stel­len, scheint es nicht zu sein. Da ist ei­ner gestor­ben und nach drei Ta­gen ist er wie­der da. So also nicht. Wie aber dann? Was kann mir die­ser Ab­schnitt sa­gen. Zu­nächst ein­mal dies: Ich rech­ne mit dem, was ich er­war­te, was mir zu­min­dest als wahr­schein­lich er­scheint. Pas­siert et­was ganz und gar Un­wahr­schein­li­ches, so gibt es erst mal eine Sper­re in mei­nem Kopf. Vor ein paar Jah­ren woll­te ich mir ei­nen neu­en Com­pu­ter kau­fen und sah mich wie­der in dem La­den um, in dem ich auch das Vor­gän­ger­mo­dell ge­kauft hat­te. Statt mei­nes Ver­käu­fers be­dien­te mich dies­mal eine Frau. Zu­hau­se an­ge­kom­men gab es noch ein paar Fra­gen und am Te­le­fon mel­de­te sich mein al­ter Ver­käu­fer. Als ich ihn auf sei­ne Kol­le­gin an­sprach, er­öff­ne­te sie mir, dass sie selbst der Kol­le­ge von da­mals sei, nun nicht mehr ein Mann, son­dern eine Frau. Bei­de muss­ten wir la­chen über mei­ne Blind­heit. Ich war nur be­reit zu se­hen, was ich er­war­te­te, al­les an­de­re ging un­ter in Rou­ti­ne und Ge­schäf­tig­keit. Wir tra­fen uns, und sie er­zähl­te mir ihre Le­bens­ge­schich­te. Ich war tief be­rührt. Für sie war die Ent­schei­dung, sich zu ih­rem Fraus­ein zu be­ken­nen wie eine zwei­te Ge­burt. Ich fin­de, man kann es auch Auf­er­ste­hung nen­nen.

 

Er sprach aber zu ih­nen: Was sind das für Din­ge, die ihr mit­ei­nan­der ver­han­delt un­ter­wegs? Da blie­ben sie trau­rig ste­hen. Und der eine, mit Na­men Kle­o­pas, ant­wor­te­te und sprach zu ihm: Bist du der ein­zi­ge un­ter den Frem­den in Je­ru­sa­lem, der nicht weiß, was in die­sen Ta­gen dort ge­sche­hen ist? Und er sprach zu ih­nen: Was denn? Sie aber spra­chen zu ihm: Das mit Je­sus von Na­za­reth, der ein Pro­phet war, mäch­tig in Ta­ten und Wor­ten vor Gott und al­lem Volk; wie ihn uns­re Ho­hen­pries­ter und Obe­ren zur To­des­stra­fe über­ant­wor­tet und ge­kreu­zigt ha­ben. Wir aber hoff­ten, er sei es, der Is­ra­el er­lö­sen wer­de. Und über das al­les ist heu­te der drit­te Tag, daß dies ge­sche­hen ist. Auch ha­ben uns er­schreckt ei­ni­ge Frau­en aus un­se­rer Mit­te, die sind früh bei dem Grab ge­we­sen, ha­ben sei­nen Leib nicht ge­fun­den, kom­men und sa­gen, sie ha­ben eine Er­schei­nung von En­geln ge­se­hen, die sa­gen, er lebe. Und ei­ni­ge von uns gin­gen hin zum Grab und fan­den's so, wie die Frau­en sag­ten; aber ihn sa­hen sie nicht.

        

Die Jün­ger trau­ern. Auch das ein Grund, die Welt wie durch ei­nen Schlei­er zu se­hen. Doch im­mer­hin, da ist ei­ner bei ih­nen, der nach­fragt, der sie er­mu­tigt zu er­zäh­len. Und das tun sei­ne Be­glei­ter. Sie er­zäh­len eine Ge­schich­te, die sie selbst nicht recht ver­ste­hen. Er­schro­cken sind sie über das was sie ge­hört ha­ben. Je­sus soll le­ben, so er­zäh­len die Leu­te. En­gel sind im Spiel. Was fest­steht: Das Grab ist leer! Was bleibt, ist die Er­in­ne­rung: „Wir aber hoff­ten, er sei es, der Is­ra­el er­lö­sen wer­de.“ Ist ihr Traum zer­platzt?, sie wis­sen es nicht. Im­mer­hin, die­sen Raum schafft ih­nen ihr Be­glei­ter, sie kön­nen ihre Ge­schich­te er­zäh­len, so wie sie sie er­lebt ha­ben. Er un­ter­bricht sie nicht, lässt Un­ge­reimt­hei­ten ste­hen, nimmt sich selbst zu­rück.

Das habe ich ler­nen müs­sen bei mei­nen Ein­sät­zen als Not­fall­seel­sor­ger: Es ist wich­tig zu­zu­hö­ren, zu ak­zep­tie­ren und erst ein­mal zu schwei­gen. Kor­rek­tu­ren sind un­an­ge­bracht, Wi­der­sprü­che müs­sen aus­ge­hal­ten, brau­chen nicht auf­ge­klärt zu wer­den. Er­in­ne­run­gen kön­nen täu­schen, Zu­sam­men­hän­ge dür­fen ig­no­riert wer­den. Es kommt nicht auf die äu­ße­ren Ab­läu­fe an.

Es gibt eine in­ne­re Wahr­heit für die Trau­ern­den und der wol­len sie mit ih­ren Er­zäh­lun­gen auf die Spur kom­men. So habe ich es im­mer wie­der er­fah­ren. Da­bei kann ein Be­glei­ter, eine Be­glei­te­rin be­hilf­lich sein. Am bes­ten da­durch, dass man selbst we­nig ein­bringt an Ideen und In­ter­pre­ta­ti­o­nen, statt­des­sen dicht bei den Trau­ern­den, bei ih­ren Wor­ten und Aus­sa­gen bleibt. „Ich weiß jetzt gar nicht mehr wei­ter,“ sagt je­mand zu mir, der ge­ra­de sei­ne alte Mut­ter ver­lo­ren hat und der sich selbst erst ein­mal sor­tie­ren muss. Ich fra­ge: „Was ge­nau musst du jetzt wis­sen, da­mit du wei­ter weißt?“ „Das ist eine gute Fra­ge,“ be­kom­me ich zur Ant­wort und nach kur­zem Nach­den­ken er­fah­re ich, dass da noch An­ge­hö­ri­ge sind, die un­be­dingt in­for­miert wer­den müs­sen und dass das sehr schwer wer­den wird. Ich schla­ge vor, dass ich mich da­rum küm­mern kann. „Ja, das ist gut.“ Die­se Last ist erst ein­mal von den Schul­tern ge­nom­men.

 

Und er sprach zu ih­nen: O ihr To­ren, zu trä­gen Her­zens, all dem zu glau­ben, was die Pro­phe­ten ge­re­det ha­ben! Muss­te nicht Chris­tus dies er­lei­den und in sei­ne Herr­lich­keit ein­ge­hen? Und er fing an bei Mose und al­len Pro­phe­ten und leg­te ih­nen aus, was in der gan­zen Schrift von ihm ge­sagt war.

        

Und nun die Wen­de. Je­sus be­ginnt zu pre­di­gen. Jetzt end­lich soll­ten ih­nen die Au­gen doch auf­ge­hen. Aber ge­nau das pas­siert nicht. Die bei­den trot­ten wei­ter ne­ben ihm her, blei­ben ge­fan­gen, sind trau­rig, blind und taub.

In ei­ner See­lsor­ge­prü­fung wäre Je­sus mit die­ser In­ter­ven­ti­on wohl durch­ge­fal­len.

Für mich aber ist die­ser Ab­schnitt der Os­ter­ge­schich­te au­ßer­or­dent­lich tröst­lich. Über drei­ßig Jah­re habe ich als Pfar­rer ge­ar­bei­tet. Mit dem Ver­such nach­zu­zäh­len, wie vie­le Trau­er­ge­sprä­che ich in die­sen Jah­ren ge­führt habe, bin ich ge­schei­tert. Aber ich kann mich an so ei­ni­ge Si­tu­a­ti­o­nen er­in­nern, die mich ab­so­lut hilf­los zu­rück lie­ßen. Ich spür­te, man er­war­tet von mir, dass ich hel­fen kann, aber ich er­rei­che die Trau­ern­den nicht, ich schei­te­re. Ich ver­mag nicht zu hel­fen, zu trös­ten, zu er­klä­ren. Na­tür­lich kann es an mei­ner Un­ge­schick­lich­keit ge­le­gen ha­ben, viel­leicht aber hat­te ich in die­ser Si­tu­a­ti­on auch gar kei­ne Chan­ce, den Pan­zer der Trau­er zu durch­drin­gen.

In sol­chen Si­tu­a­ti­o­nen hat mich das Schei­tern Jesu ge­trös­tet. Auch er lief ne­ben sei­nen trau­ern­den Freun­den her und konn­te sie mit sei­nen Wor­ten nicht er­rei­chen. Der Pre­di­ger schlecht­hin kam mit sei­ner Rede nicht an. Ja, es gibt Si­tu­a­ti­o­nen da ver­sa­gen die Wor­te. Sie kön­nen schlüs­sig sein, sie kön­nen gut for­mu­liert sein, sie kön­nen das gött­li­che Wort sel­ber sein und sie wer­den den­noch nicht ge­hört. Es ist nicht leicht für Men­schen, die so auf das Wort fi­xiert sind wie evan­ge­li­sche Pas­to­ren, zu ak­zep­tie­ren, dass auch für Wor­te gilt, dass sie ihre Zeit und ih­ren Ort brau­chen, um ge­hört wer­den zu kön­nen. Das gilt es zu re­spek­tie­ren. Je­sus im Schei­tern an mei­ner Sei­te zu wis­sen, mag eine et­was an­ma­ßen­de Aus­le­gung sein. Mir hilft sie, mich in mei­ner Hilf­lo­sig­keit nicht so al­lein zu füh­len.

 

Und sie ka­men nahe an das Dorf, wo sie hin­gin­gen. Und er stell­te sich, als woll­te er wei­ter­ge­hen. Und sie nö­tig­ten ihn und spra­chen: Blei­be bei uns; denn es will Abend wer­den, und der Tag hat sich ge­neigt. Und er ging hi­nein, bei ih­nen zu blei­ben. Und es ge­schah, als er mit ih­nen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dank­te, brach's und gab's ih­nen. Da wur­den ihre Au­gen ge­öff­net, und sie er­kann­ten ihn. Und er ver­schwand vor ih­nen.

        

Wenn es nicht die Wor­te sind, die Er­kennt­nis brin­gen, was dann? Die Ge­schich­te der Em­maus­jün­ger zeigt ei­nen Aus­weg. Als das Ge­spräch ir­gend­wann zum Ende kommt, be­ginnt et­was Neu­es, et­was ganz An­de­res. „Gen­ug ge­re­det,“ hät­te man in die Ge­schich­te ein­schie­ben kön­nen, „lasst uns ins Haus ge­hen. Frem­der, sei un­ser Gast. Lass uns et­was es­sen.“ Eine mei­ner ers­ten An­schaf­fun­gen im Pfarr­bü­ro war eine klei­ne Kaf­fee­ma­schi­ne. Sie stand di­rekt ne­ben der Sitz­grup­pe. Eine Ka­raf­fe stand be­reit und ich muss­te ein paar Hand­grif­fe ma­chen, um die klei­ne ita­li­e­ni­sche Es­pres­so­kan­ne mit Kaf­fee und Was­ser zu be­fül­len, dann kam sie auf die pas­sen­de Koch­plat­te und ein paar Mi­nu­ten spä­ter war der Es­pres­so fer­tig. Die­se Mi­nu­ten habe ich schät­zen und ein­set­zen ge­lernt. Kein pein­li­ches Schwei­gen in ei­ner schwie­ri­gen Ge­sprächs­pha­se, son­dern ein Au­gen­blick des In­ne­hal­tens. Be­ra­tungs­ge­sprä­che mit Ju­gend­li­chen habe ich gern am Bil­lard­tisch ge­führt. Auch da gab es im­mer die­se wun­der­ba­re Mög­lich­keit, ein­fach nur zu schwei­gen. Das We­sent­li­che pas­siert ja oft wie ne­ben­bei. Mal ist es ein Traum, der ei­nem et­was klar wer­den lässt oder die sprich­wört­li­che Idee un­ter der Du­sche, mal setzt der Klang von Mu­sik et­was in uns frei, oft ist es die Stil­le.

In der Em­maus­ge­schich­te öff­nen sich die Au­gen sei­ner Freun­de, als Je­sus ih­nen das Brot bricht. Es klingt wie ein Zau­ber und ist doch eine All­tags­er­fah­rung. Da­ran, wie Je­sus das Brot bricht, er­ken­nen die Jün­ger ih­ren Meis­ter. Und wer die Os­ter­ge­schich­te kennt, ist an die­ser Stel­le an Jesu letz­tes Abend­mahl er­in­nert: „So­oft ihr von die­sem Bro­te esst bin ich mit­ten un­ter euch.“ Wie kann Je­sus sich prä­sen­ter ma­chen, als dass er sich und sein Le­ben, sei­ne Lie­bes­bot­schaft mit dem ge­mein­sa­men Es­sen ver­bin­det. Täg­lich muss man es­sen, um zu le­ben. So hält man Ver­bin­dung mit ihm, je­den Tag. Plötz­lich ist der da, von dem sie nur ge­hört hat­ten, dass er lebt. Plötz­lich er­ken­nen sie Je­sus in dem Mann, ne­ben dem sie über vie­le Ki­lo­me­ter her ge­trot­tet sind. Mit dem ge­mein­sa­men Mahl ist die er­kal­te­te Hoff­nung vom Er­lö­ser, der am Kreuz starb, zu ei­ner Auf­bruchsge­schich­te ge­wor­den. Mit sei­nem Tod ist kein Schluss­strich ge­zo­gen, et­was Neu­es hat be­gon­nen. Und Sie er­kann­ten ihn. Doch er ver­schwand vor ih­ren Au­gen.

 

Und sie spra­chen un­ter­ei­nan­der: Brann­te nicht un­ser Herz in uns, als er mit uns re­de­te auf dem Wege und uns die Schrift öff­ne­te? Und sie stan­den auf zu der­sel­ben Stun­de, kehr­ten zu­rück nach Je­ru­sa­lem und fan­den die Elf ver­sam­melt und die bei ih­nen wa­ren; die spra­chen: Der Herr ist wahr­haf­tig auf­er­stan­den und Si­mon er­schie­nen. Und sie er­zähl­ten ih­nen, was auf dem Wege ge­sche­hen war und wie er von ih­nen er­kannt wur­de, als er das Brot brach.

 

Ein ein­fa­ches „wei­ter so“ gibt es of­fen­bar nicht. Je­sus ent­zieht sich ih­rem Zu­griff. Und doch sind die Jün­ger ver­wan­delt. Eine Ge­mein­schaft, die da­bei war aus­ei­nan­der zu lau­fen, fin­det wie­der zu­sam­men. Sie alle tre­ten aus der Ein­sam­keit der Trau­er he­raus ins Le­ben.

Ich er­in­ne­re mich an ei­nen Haus­be­such. Ich saß bei ei­ner Frau, die im ho­hen Al­ter ih­ren Mann ver­lo­ren hat­te und plötz­lich al­lein war. Ihr wich­tigs­ter Be­zugs­punkt im Le­ben war nicht mehr da. Alle gu­ten Wor­te blie­ben mir im Hal­se ste­cken, so nach­fühl­bar schreck­lich war die Si­tu­a­ti­on. Mir fiel nichts ein, was sie hät­te trös­ten kön­nen; und so hör­te ich der al­ten Frau ein­fach nur zu. Aus­führ­lich er­zähl­te sie vom ers­ten Ken­nen­ler­nen und vom Wi­der­stand der El­tern ge­gen die­se Lie­be. Der Mann war ih­nen nicht gut ge­nug. Ein klei­ner Be­am­ter schien ih­rer Aka­de­mi­ker­fa­mi­lie nicht stan­des­ge­mäß. Doch bald schon ga­ben sie ih­ren Wi­der­stand auf. Be­reits zur Ver­lo­bung schwenk­te die Fa­mi­lie um, und man merkt nach Jahr­zehn­ten noch, wie wich­tig der Frau die­se Ver­söh­nung war. „Das Wort Eman­zi­pa­ti­on gab es zu mei­ner Zeit noch nicht“, sagt sie, „aber wir ha­ben al­les ge­mein­sam ge­macht. Er war nicht mehr wert als ich. Je­der hat­te sei­ne Auf­ga­ben und am wohls­ten fühl­ten wir uns, wenn wir uns se­hen konn­ten.“ Eine Rei­se ohne ihn hät­te ihr kei­nen Spaß ge­macht. Jetzt, wo sie un­wi­der­ruf­lich al­lein ist – jetzt wird ihr al­les dop­pelt schwer. Plötz­lich wur­de die­se er­schüt­tern­de Kla­ge durch ein Klin­gel­läu­ten un­ter­bro­chen und die En­ke­lin der al­ten Frau stand mit der klei­nen Toch­ter vor der Tür. Die Klei­ne wuss­te nichts von dem Leid der Ur­groß­mut­ter. Sie freu­te sich ein­fach nur, die Ur­oma zu se­hen und fiel ihr un­ge­stüm um den Hals. Ich bin mir si­cher – mei­ne Trost­wor­te hät­ten die Frau nicht er­rei­chen kön­nen, die­sem Kind aber, mit sei­ner un­ver­fälsch­ten Le­bens­freu­de, mit ih­rer ehr­li­chen Zu­nei­gung konn­te sie sich nicht ent­zie­hen. Durch die­se un­be­schwer­ten Au­gen­bli­cke merk­te sie, dass es ne­ben dem Schmerz und der Trau­er noch an­de­res gab, was mit noch so klu­gen Re­den nicht zu be­kom­men war, aber mit dem La­chen und der Um­ar­mung die­ses Kin­des.

Das Os­ter­wun­der kann ei­nem über­all be­geg­nen, es genügt, mit of­fe­nen Au­gen auf die Su­che zu ge­hen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

Byzantinische Osterliturgie in deutscher Sprache. Chorodia der Benediktinerabtei Niederaltaich, Mitglieder der Schola Cantorum St. Godehard, Hannover, Gesamleitung Archimandrit Irenäus Totzke