Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Jefferson Santos
Singen gibt Kraft
Pfarrerin Marianne Ludwig
07.04.2022 06:20
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Wer singt, vertreibt seine Angst. Das wusste schon Martin Luther. Mit Hilfe seiner Lieder hat er sich den eigenen Ängsten und denen seiner Zeit entgegengestellt. „Musik vertreibt den Teufel und macht den Menschen fröhlich!“ Luther wusste, wovon er sprach. Immer wieder half ihm die Musik, aus seinen seelischen Tiefs heraus zu finden. Denn Singen macht die Kehle frei und die Brust weit. Wenn der Atem wieder fließt, kann sich auch die Stimmung verändern und gelöster werden. Vor allem dann, wenn man gemeinsam singt und spürt, wie die Kraft wächst.

 

Zwar klangen die Lieder der siebenköpfigen ukrainischen Familie im Bus des Fluchthelfers erst zaghaft. Dann aber, je größer der Abstand zwischen ihnen und dem Kriegsgebiet wurde, desto kräftiger wurde auch der Gesang.

Der Schwiegersohn hatte sie aus Deutschland an der slowakischen Grenze abgeholt. Die Familie war tagelang unterwegs gewesen. Gepäck war nicht erlaubt auf ihrer Reise, nur eine Babytasche für das 8-monatige Baby. Vier Kinder hatten sie dabei und die 65-jährige Großmutter. Sie war es auch, die die Lieder im Bus angestimmt hatte und unbeirrt weitersang, bis auch die anderen mitsangen.

 

Als sie sich an der slowakischen Grenze in die Arme fielen und gestärkt hatten, war ihre erste Frage: Wo können wir die Handys aufladen? Sie mussten doch ihren Lieben mitteilen: „Wir sind in Sicherheit!“ Ja, das sind sie jetzt. Hier in Deutschland sind sie bei dem Schwiegersohn und seiner Familie untergebracht. 11 Menschen teilen sich eine Dreizimmerwohnung.  Die Zukunft ist ungewiss. Vor allem, wenn sie mit der Heimat telefonieren, herrscht gedrückte Stimmung. Denn täglich rechnen sie mit Todesnachrichten von Freunden und Bekannten. Das Schlimmste ist: Sie können nichts für sie tun, ihnen nicht helfen, sie nicht beschützen. Sie wissen ja selbst nicht, wie es für sie weiter gehen soll. Wenn sich dann die Kehle zuschnürt und es eng wird in der Brust, fangen sie an zu singen. Erst einer, dann eine zweite und dann alle zusammen, manchmal sogar mehrstimmig. Dann hellt sich die Stimmung auf und inzwischen summt auch der Schwiegersohn mit. Ja, Musik verbindet – mit der eigenen inneren Stärke und miteinander. Sie hilft, die Sorge vor der Zukunft ebenso wie schlimme Erinnerungen für einen Augenblick zur Seite zu schieben. Martin Luther hat recht, wenn er sagt: „Musik ist das beste Labsal eines betrübten Menschen“.  Offenbar auch dann, wenn der Mensch nicht nur betrübt ist, sondern Angst und Trauer ihn quälen.

Es gilt das gesprochene Wort.