Morgenandacht
Gemeinfrei via pixabay/ Alexas_Fotos
Was zählt
mit Landespfarrerin Petra Schulze
31.03.2022 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Sie hat den 2. Weltkrieg erlebt. Da ist sie noch ein Kind. Doch das ist lange her. Wir sitzen bei einer Geburtstagsfeier ihrer Enkelin zusammen. Noch vor dem Krieg in der Ukraine. Sie als Großmutter, ich als Freundin des Geburtstagskindes. Wir reden. Über unser Leben. Hier und jetzt. Und was uns zufrieden macht im Leben.

 

„Ich brauche nichts Großes,“ sagt sie. „Keinen Luxus, keine Reisen. Ich schaffe es, jeden Tag etwas aus meinem Alltag rauszuziehen, das mir Freude macht. Ob es das Buch ist, das auf mich wartet, wenn ich am Nachmittag ein bisschen lese. Oder die Serie, die ich gucke. Oder ich freue mich, dass ich morgens wieder aufgewacht bin. Dass mein Mann da ist. Oder wenn ich meine Runde draußen mache und jemanden treffe, mit dem ich plaudern kann.“

 

Gerda ist 90. Kleiner ist sie geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Gerade mal noch ein Meter fünfzig, denke ich. „Vielleicht ist es das, dass ich immer gerne gelebt habe und immer noch sehr gerne lebe“, sagt sie.

 

Ich brauche nichts Großes. Gerne leben. So klingt es in mir nach, jetzt zwischen den Nachrichten vom Krieg in der Ukraine. Gerda macht aus dem Kleinsten Großes. Sie kann genießen, was ihr im Leben an Gutem begegnet. Und teilt davon noch aus: Ihre Zufriedenheit und ihr Humor stecken an. Gerda tanzt für ihr Leben gern. Ihr Haus ist offen für Gäste. Sie liebt es, andere zu bekochen und um sich zu haben. Das alles sind Dinge, die ihr einfallen, wenn sie zurückschaut. Nicht das Schwere, das Unaushaltbare. Nicht der Krieg und die Flucht. Nicht die Zeit danach, die Armut und der Wiederaufbau. Was am Ende ihres langen Lebens zählt, ist etwas anderes.

 

Leben. Einfach leben. Aus dem kleinen Samen und aus der kleinen Eizelle wächst es heran und wird groß und größer. Und es freut sich seines Lebens. Singt und springt. Lacht und tanzt. Lässt Seifenblasen fliegen und putzt kleine Rotznasen. Sportelt und lernt. Schneidet die Rosen und feiert einen beruflichen Erfolg. Betrauert, was verloren ist und bietet dem Unglück die Stirn. Tanzt bis zum Morgengrauen und teilt die Freude aus. Im Bratapfel an einem kalten Wintertag und im Käsebrot für die Schule. Mit Knowhow und Teamgeist im Beruf. Mit einem Anruf: „Sag, wie geht es Dir?“ oder mit einem kleinen Spaziergang zum Plaudern. Mit einer WhatsApp an die Freundin.

 

Klein, aber oho. Diese Liebe zum Leben, das ist der Himmel auf Erden. Nicht immer stärker als Bomben und Granaten. Aber doch größer. Und weiter.

 

Jesus erzählt: Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nimmt und in seinen Garten sät. Es ist das kleinste unter allen Samenkörnern. Wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum. Und die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen. (Matthäus 13,31f)

 

Manche tragen so ein Senfkorn in einem Medaillon an einer Halskette. Andere, wie Gerda, erzählen davon. Das Senfkorn erinnert immer wieder daran: Das Kleine genießen. Das, was ich habe, ausstreuen und teilen, ganz gleich wie viele Samen es sind oder wie groß sie sind. Gerne leben. Sich selbst und die anderen mit Gutem bewirten und nähren. Mit gutem Essen und guten Gedanken. Das allein zählt. Diese Saat geht auf. Schlägt Wurzeln und lässt Bäume wachsen. Mit Stämmen, an die man sich anlehnen kann. Die Haltlosen finden unter den Kronen solcher Bäume einen Platz um zu Rasten. Die Ängstlichen Zuversicht. Und die Geflüchteten Schutz und Zuflucht.

 

Literaturangaben:

 

Erzählt nach: „Leben. Einfach leben“ von Petra Schulze, in: Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand, hg. v. Susanne Breit-Keßler, Frankfurt: edition chrismon, 2021, S. 92f.

 

Es gilt das gesprochene Wort.