Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Bernard Hermant
Freiheit
Autor
24.05.2022 06:35

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Es ist so eine Sache mit der Freiheit. Nicht alle können damit umgehen. Gelehrt hat mich das eine Elster, die von einer Nachbarin aufgezogen worden ist. Die Elster war verletzt, die Nachbarin hat sie gefunden, gerettet und aufgepäppelt. Als die Elster groß geworden war und ihre Verletzungen geheilt, brachte die Nachbarin sie an die frische Luft und entließ sie in die Freiheit. Du verdienst die Freiheit, hat meine Nachbarin zu dem Vogel gesagt. Doch statt ihre Freiheit zu leben, ist die Elster täglich zurückgekommen, um sich von ihrer Lebensretterin mit Hackfleischbällchen verwöhnen zu lassen. Tatsächlich hat die Elster dann sogar die Nachbarin überlebt. Eine Zeit lang kam sie danach in meinen Garten. Ich habe ihr allerdings keine Hackfleischbällchen angeboten und ihr zugemutet, selbst für sich zu sorgen. Freiheit ist eine Zumutung. Wer sie will, braucht auch Mut zur Freiheit.

Wir Menschen, finde ich, sind alle für die Freiheit geschaffen. Auch wir schrägen Menschenvögel. Mancher kommt sich vielleicht wie ein Adler vor, andere wie Dreckspatzen oder klein wie Zaunkönige. Mag sein, dass sich die Adler mit der Freiheit am leichtesten tun, doch die Freiheit steht allen zu. Trotzdem gibt es viele Menschen, die in Unfreiheit leben. Manche freiwillig. Einige sehnen sich beispielsweise nach den Zeiten zurück, wo in der DDR alles geregelt war. Andere haben sich so an die Unfreiheit gewöhnt, dass sie ihnen gar nicht mehr auffällt. Sehr viele Menschen sind unfreiwillig unfrei. Es ist empörend, wie vielen Menschen das Grundrecht auf Freiheit verwehrt wird. Die Diktatoren und Machthaber dieser Welt maßen sich an, ihre Kritikerinnen und Kritiker wegzusperren. In China, Hongkong und Russland, in Myanmar, der Türkei und Nordkorea beispielsweise ist es gefährlich oder sogar lebensgefährlich, für Meinungsfreiheit einzutreten. Ich bewundere alle, die das trotzdem wagen. Sie sind mutig. Freiheitsmutig.

Martin Luther hat gesagt, dass ein Christenmensch im Glauben ein freier Herr aller Dinge sei und niemandem untertan. Er hat diesen Gedanken, der in seinen Zeiten des Feudalismus nun wirklich revolutionär geklungen hat, mit einem zweiten Gedanken kombiniert: Ein Christenmensch ist in der Liebe ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Das ist keine Einschränkung der Freiheit. Der wirklich freie Mensch trägt Verantwortung und hat Aufgaben. Auch das hören die Machthaber und Diktatoren nicht gern. Sie verwechseln gerne Freiheit mit Verantwortungslosigkeit. Sie beanspruchen für sich allein alle Freiheiten, ohne Verantwortung für die Menschen ihrer Länder zu übernehmen. Doch wahre Freiheit entfaltet sich in Solidarität. Manchmal besteht sie auch darin, zu verzichten.

Wir Menschen sind nicht zum Kriechen geschaffen, sondern zum Fliegen. Wir sind Wesen, die in den Himmel gehören und nicht in die Hölle der Unfreiheit. Als Christin glaube ich daran, dass Gott auch mich merkwürdigen schrägen Vogel liebhat, auch mit zerzaustem Federkleid, trotz meines lockeren Schnabels. Das macht mir Mut zur Freiheit. Da darf ich ruhig stolz die Flügel ausbreiten und mit Gottvertrauen auch Selbstvertrauen haben.

Und da bin ich in aller Freiheit auch dienstbarer Knecht: Jeder Mensch kann etwas dazu beitragen, dass niemand sich kriecherisch beugen und ängstlich klein machen muss gegenüber aufgeblasenen Mächten und menschenfeindlichen Gewalten. Wir in Deutschland können die Flügel ausbreiten und denen Schutz bieten, die aus der Gewalt flüchten. Wir können dafür einstehen, dass es sich lohnt, in Freiheit zu leben. Wir können gemeinsam Geschichten davon erzählen, dass man auch mit Gegenwind fliegen kann, ja, dass einen das auch stark machen kann, nicht nur verzagt. Freiheit ist auch die Solidarität mit anderen. Sie steht für die Hoffnung, dass ein gutes Leben möglich ist. Es braucht immer jemanden, der Mut macht: Du verdienst die Freiheit! Lass uns fliegen!

Es gilt das gesprochene Wort.