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Sendung zum Nachlesen:
Seit gut einer Woche (1) sind sie wieder geöffnet, die Weihnachtsmärkte in Deutschland. Zwischen zwei- und dreitausend sollen es insgesamt sein (2) und es gibt sie seit dem 13. Jahrhundert. Damals konnte man sich für den Winter mit dem Nötigsten an Nahrung und Kleidung versorgen. Heute trifft man sich dort zum Vergnügen. Aber ich glaube, es geht um viel mehr.
Wenn ich auf den Mainzer Weihnachtsmarkt gehe, sehe ich schon von Weitem die erleuchtete Stele in der Mitte. Von ihr gehen Lichterketten in alle Richtungen aus. Man steht wie unter einem Zelt aus Licht. Es riecht nach Reibekuchen, gebrannten Mandeln und Spießbraten. Der Glühwein wärmt erst die Finger, dann den Mund und geht sofort ins Blut. Es dudelt und tönt nach Weihnachts-Wunderwelt. Kunst oder Kitsch? Egal!
Am Eingang wäre ich beinahe über die Schwelle gestolpert. Die Poller links und rechts erinnern mich daran, dass hier kein Laster durchkommen darf. So wie damals in Berlin am Breitscheidplatz. Seit der Attacke der Hamas auf Israel im Oktober ist die Gefahr eines islamistischen Anschlags gestiegen, warnen die deutschen Sicherheitsbehörden (3). Der Krieg in Nahost hängt wie eine drohende Wolke auch über meinem Weihnachtsmarkt. Wenn ich dorthin will, muss ich eine Schwelle überwinden. Äußerlich wie innerlich.
Warum suchen sich potenzielle Attentäter gerade unsere Weihnachtsmärkte aus? Ich glaube, sie wissen genau: An diesem Ort sind die Menschen verwundbarer als anderswo.
Ich jedenfalls werde dort immer zum Kind. Freue mich wie ein Kind über Engelchen und Holzeisenbahn und Fellschuhe. Staune über ganz normale Kerzen und fühle mich geborgen unter dem Zeltdach aus Licht. Und wenn ich Reibekuchen essen will- der Stand steht jedes Jahr an derselben Stelle. Das tut mir gut und meine veränderungs-erschöpfte Seele atmet auf.
Und ich sehe, dass es Anderen ähnlich geht. Man prostet sich zu, obwohl man sich gar nicht kennt. Ob christlich, jüdisch oder muslimisch, ob atheistisch oder agnostisch, alle genießen den Zauber von Licht und Duft und Wärme. Man spürt einen Hauch von dem, was das sein könnte - Frieden.
Dieses flüchtige Gefühl hat etwas mit dem Ursprung aller Weihnachtsmärkte zu tun. Die alte Geschichte, die wir alle Jahre wieder erzählen. Maria und Josef und das Kind in der Krippe. Auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt kann man um die überlebensgroßen Figuren mit einem Jesuskind in einer Futterkrippe herumgehen. Dieses Kind ist von Anfang an den Härten des Lebens ausgesetzt. Kurz nach der Geburt schickt der König seine Soldaten aus, um das Kind zu töten. Weil er um den Verlust seiner Macht fürchtet. Die Eltern müssen erst einmal fliehen.
Und trotzdem breitet sich um dieses Kind eine friedvolle Atmosphäre aus über alle, die gekommen sind. Hirten und Kinder, Hinz und Kunz aus dem nahen Dorf und Gelehrte aus dem fernen Morgenland. Über alle Unterschiede hinweg sind sie ergriffen vom Zauber dieses Moments. Und sie können ahnen, wie Gott das gemeint haben könnte mit dem Frieden. Der höher ist als alle Vernunft. Und zugleich so nah. Wenn man es macht wie Gott und einfach nur Mensch wird.
Bleibt die Frage: Wohin mit der Schwellenangst? Mit dem Erschrecken vor den dicken Pollern am Eingang?
Nach einigem Zögern habe ich mich gegen die Schwellenangst entschieden. Weil ich nicht will, dass wir uns das nehmen lassen. Diese besonderen Orte, an denen wir uns erlauben, wieder Kind zu sein. Wo wir uns an die Wurzeln unserer Kultur erinnern und gemeinsam mit Fremden und Freunden das Leben feiern. Und diese Geschichte vom Kind in der Krippe. Die alle Jahre wieder kommt. Und doch alle Jahre neu ist.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben:
- https://www.news.de/panorama/856559049/weihnachtsmaerkte-2023-deutschland-heute-leipzig-hamburg-berlin-start-eroeffnung-oeffnungszeiten-aktuell-gluehwein-preise-termine/1/
- Wikipedia
- https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/terrorismus-deutschland-100.html