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Der Publizist Max Czollek ist ein kritischer Beobachter der Erinnerungskultur in unserem Land. Deutschland sollte vorsichtig sein, sich in einem allzu positiven Licht zu sehen und sich mit der gelungenen Erinnerungskultur zu brüsten. Es darf nicht zu glatt gehen, appelliert er. 99 Prozent der am Holochaust Schuldigen haben niemals vor Gericht gestanden. Und es darf nicht vor allem darum gehen, dass Deutschland wieder gut dasteht in der Welt und vor sich selbst, als habe es das nationalsozialistische Gedankengut ganz hinter sich gelassen. Und Gewalttaten aus diesem Hintergrund seien Ausnahmen, Einzeltaten. Wir erleben viel zu viele, um diese blauäugigen Schlüsse ziehen zu können.
Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Heute vor 79 Jahren haben Truppen der Roten Armee die Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau befreit. Czollek sagt: Man müsste immer bedenken, was diese Tage für die Menschen bedeuten, die selbst in diesen Lagern waren als verfolgte Jüdinnen und Juden, als Gegner:innen des NS Regimes. Sie blieben und bleiben ein Leben lang vor allem eins: Untröstlich. Und das müsste doch in die Erinnerungskultur in Deutschland einfließen. So der Appell von Czollek, den ich unumwunden teile. (1)
Dieser Tag heute stellt die Untröstlichen ins Zentrum. Sie brauchen alle Sorgfalt, zu der wir als Gemeinschaft fähig sind. Meine offenen Ohren, mein offenes Herz. Meine Bereitschaft, mit ihnen in die Kältekammern ihrer Erinnerung abzusteigen. Zeuginnen und Zeugen werden heute erzählen – in Schulen, in Kulturhäusern und am Mittwoch (2) auch im Bundestag. Sie werden eine Sprache finden für das Unaussprechliche. Erzählen und zuhören. Der 27. Januar ist dafür da. Ich habe immer wieder teilgenommen an Zeitzeugenabenden und bei allem Schmerz die Kraft des Erzählens erlebt. Wie aus dem Opfer, das etwas erträgt, unglaublichen Schaden erleidet, Gewalt erfährt, verletzt und entmenschlicht wird – wie aus dem passiven Victime ein handelnder Mensch wird. Wer Wen die Nazis damals mundtot wargemacht haben, beginnt zu sprechen.
Das ist schwer. Erzählen kostet unglaubliche Kraft. Auch Zuhören kostet Kraft. Und doch entsteht da eine neue Macht. Sie führt uns Menschen zusammen. Empathie, Mitgefühl wird möglich. Das schützt unser aller Leben. Diese Schutzmacht kann Leben sichern, kann die Demokratie stärken. Sie ist da bei vielen Menschen. Und so viele Überlebende des Holocaust haben genau das getan. Dieser Macht des Erzählens vertraut. Noch leben ein paareinige von ihnen. Hören wir ihnen heute zu.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur zur Sendung:
- https://www.br.de/nachrichten/kultur/versoehnungstheater-max-czollek-ueber-deutsche-erinnerungskultur,TUQOa4Z.
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw05-gedenktag-985648.