epd-Bild/ Norbert Neetz
Wir könnten das schaffen
Das Grundrecht auf Asyl und die Frage: Wer wollen wir sein?
31.01.2025 06:35

Nach dem Messerangriff in Aschaffenburg sind Entsetzen und Trauer groß.  Bei allem politischen Handlungsdruck steht in Frage, welche Grundrechte und auch christlichen Werte wir hochhalten.

 

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"Wir schaffen das!" Dieser Satz löst bei vielen Unbehagen aus oder sogar Wut. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn gesagt, als besonders viele Kriegsflüchtlinge nach Europa und nach Deutschland kamen. Davon möchte ich kurz absehen. Damit wieder deutlich wird, was für ein schöner Satz das sein kann.

"Wir schaffen das!" Wer das sagt, hat eine Herausforderung vor Augen. Und er glaubt sich dafür gut gerüstet. Er ist selbstbewusst und zuversichtlich. Ich denke an ein Segelschiff. Die Besatzung sieht, dass ein Sturm aufzieht. Aber sie weiß, was zu tun ist und dass ihr Schiff stark ist. "Wir schaffen das!"

Davon ist Deutschland derzeit leider weit entfernt. Das zeigt sich an etlichen Stellen, auch am Umgang mit Menschen, die aus Krisenregionen hierherkommen. Deutschland gilt als eine weltoffene Nation, gut organisiert, eine gefestigte Demokratie, die universale Werte wie Menschenwürde verinnerlicht hat, die internationales Recht achtet, die dem einzelnen Menschen großen Wert zubilligt.

Aber Deutschland ist nicht nur so, wie es nach außen scheint. Wir haben vor Augen, dass unser Land in vielem nicht gut gerüstet ist. Die politischen Ebenen und die Bürokratie haben sich verheddert und legen sich gegenseitig lahm.

Als vor 30 Jahren die ersten Geflüchteten in den Ort meiner damaligen Kirchengemeinde kamen, habe ich angefangen, mich zu kümmern. Aus Mitgefühl. Weil im Grundgesetz steht: Politisch Verfolgte genießen in Deutschland Asylrecht. Weil in der Bibel steht, dass man sich um Fremdlinge gut kümmern soll. (3. Mose 19,33-34)

Dabei stieß ich auf einen Wirrwarr an Behörden und Zuständigkeiten mit unklaren Zielen, die einander teilweise widersprachen. Asylsuchende hingen jahrelang in Verfahren fest. Sie durften lange Zeit nicht arbeiten, nicht einmal an Deutschkursen teilnehmen. Ich habe alle bewundert, die das seelisch unversehrt überstanden haben und am Ende einen guten Platz in diesem Land fanden.

Heute, 30 Jahre später ist es nicht viel besser. Das zeigen die schrecklichen Gewalttaten der vergangenen Monate. Daran verzweifeln selbst die engagiertesten Polizisten, die erfahrensten Sozialpädagoginnen, die weisesten Richter und die fleißigsten Beamten. Ist dieses Gefüge wirklich nicht reformierbar? Manche setzen lieber auf markige politische Worte. Ganze Städte werden zu Synonymen für Trauer, Wut und scheinbaren Tatendrang: Solingen, Magdeburg, letzte Woche Aschaffenburg. Eine Reihe von Gewalttaten, die Menschen mit Migrationshintergrund und einer psychischen Störung verübt haben. Als Gegenrechnung kommt der Hinweis, dass Deutschland Zuwanderung für die Wirtschaft und das Fürsorgesystem braucht.

Doch damit ist die Debatte in eine gefährliche Sackgasse geraten. Denn es geht nicht darum, ob Menschen schädlich sind oder nützlich. Menschen sind Menschen – egal woher sie kommen. Sie bringen alles mit, das Edle und das Abgründige. Deshalb braucht es Gesetze, Polizei, Gerichte, Gefängnisse und auch Abschiebungen. Das bestreitet niemand. Und es braucht offene Arme für die große Mehrheit der rechtschaffenen Menschen.

Bei dem Umgang mit Migration geht es im Kern um die Frage an uns, die Gesellschaft in Deutschland: Wer wollen wir sein? Wie schützen wir sowohl das Grundrecht auf persönliche Unversehrtheit als auch das Grundrecht auf Asyl? Halten wir an humanitären Werten, auch an christlichen Werten fest? Wollen wir ein international offenes Land sein? Wollen wir internationales Recht achten? Davon hängt viel ab.

Doch diese Fragen werden nicht beantwortet. Stattdessen laden einige die Last des Konflikts den Geflüchteten auf. Und machen sie kollektiv zum Sündenbock.

Mir scheint: Wir hätten das besser machen können. Stark genug wären wir gewesen. Wenn wir wie die Besatzung eines Segelschiffes agiert hätten. Einige wollten es gar nicht schaffen. Doch denen will ich die Deutungshoheit nicht überlassen. Ich wünsche mir mein Land als sturmerprobtes Schiff mit einer klugen Besatzung. Die kann das.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

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