Die Corona-Zeit steckt vielen noch immer in den Knochen und in der Seele. Es ist höchste Zeit für ehrliche Gespräche und Auseinandersetzung mit dem, was war und was wir daraus lernen.
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Es gibt Sätze, die reichen über die Person hinaus, die sie sagt. Jens Spahn, damals Bundesgesundheitsminister, hat so einen Satz gesagt, 2020, in der Anfangszeit der Corona-Krise: "Wir werden einander viel verzeihen müssen." Ich dachte damals: Dieser Satz ist wahr.
Er ist es bis heute, fünf Jahre, nachdem die Pandemie ausgebrochen ist. Drei Jahre lang hatte Corona die Welt im Griff. Vielen steckt diese Zeit noch in den Knochen und in der Seele. Mir auch. Sobald das Gespräch auf Corona kommt, löst es viel aus. Trauer, Wut, schlechte Erinnerungen, auch einzelne gute. Bleibende Schäden an Körper und Seele. Vieles, das noch nicht geklärt ist.
"Wir werden einander viel verzeihen müssen." Verzeihen kommt nicht von selbst. Dafür muss man etwas tun. Jetzt mit etwas Abstand ist höchste Zeit dafür. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versucht es. Er lädt heute ins Schloss Bellevue ein zu einer Diskussion über die gesellschaftlichen Nachwirkungen und Lehren aus der Corona-Zeit. Er spricht mit Gästen aus Pflege, Medizin, Schule und Kita, Wirtschaft, Kultur, Sport und Verwaltung.
Ein Versuch. Steinmeier drängt auf mehr Tempo bei der Auseinandersetzung mit der Pandemie – auch im Bundestag. Dort hat das bislang nicht stattgefunden. Ich habe dafür kein Verständnis.
Es geht nicht darum, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Es geht darum, gemeinsam an-zuschauen: Was ist gelungen, was war falsch und was kann man für die Zukunft daraus lernen? Dazu gehört auch die Klärung der Frage: Was war der Ursprung des Virus und wer wusste wann davon?
Verzeihen steht ganz am Ende des kritischen Rückblicks. Und es ist nicht garantiert, dass wir am Ende einander verzeihen können, worunter Menschen in der Corona-Zeit gelitten haben. Wo wir als Gesellschaft Menschen nicht genügend geschützt haben. Oder wo die Schutzmaß-nahmen zu weit gingen und so Menschen geschadet haben.
Der Weg zum Verzeihen geht in der christlichen Tradition über einen Dreischritt: Erstens, die Schuld bekennen. Aussprechen, was ich falsch gemacht oder unterlassen habe. Zweitens, die Reue. Ich erkenne, was mein Verhalten bei anderen ausgelöst hat. Es tut mir leid. Schließlich die Absolution, also der Zuspruch: Das, was war, soll nicht mehr negativ wirken.
Noch nicht einmal der erste Schritt – das Benennen - hat bislang im Bundestag stattgefunden. Aber es geht bei dem Rückblick auch nicht nur um die politische Ebene.
Der Riss, wie man zu den Schutzmaßnahmen steht, die wechselseitigen Vorwürfe, das ging quer durch alle Institutionen, auch durch die Kirchen. Es ging durch viele Beziehungen, Ehen und Familien. Der gegenseitige Argwohn hat Freundschaften beendet. Er steht nach wie vor zwischen einigen Nachbarinnen und Nachbarn.
Ich selber war ziemlich strikt bei der Einhaltung der Schutzmaßnahmen. Nicht aus äußerem Zwang, sondern weil ich ihre Notwendigkeit gesehen habe. Aber irgendwann habe ich gemerkt, wie ich dabei zu weit gegangen bin. Ich wurde richtig streng und habe damit andere strapaziert. Einem Freund habe ich mit meinen Forderungen ziemlich zugesetzt. Ich habe ihn im Nachhinein angerufen und ihn für meine rigorose Art um Entschuldigung gebeten. Er war überrascht und gleichzeitig erfreut von meinem Bedauern. Und sagte dann: Ist gut.
Natürlich ist das in Politik, in Gesellschaft und Kirche nicht so einfach. Aber meine Erfahrung ist: Es gibt zumindest die Chance zur Klärung, wenn man den ersten Schritt versucht. Miteinander reden. Benennen, was die Beweggründe waren für Entscheidungen und Verhalten. Zuhören, was die Sicht des anderen war und ist.
Und dann: Vielleicht manches verzeihen können. Ob das gelingt, ist ungewiss. Den Versuch ist es wert.
Es gilt das gesprochene Wort.
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