"Ein Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand, der ist zum Lachen." Das lässt Thomas Mann seine Romanfigur Joseph sagen. Ein hellsichtiger Satz damals wie heute.
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"Joseph trat hinaus unter Sterngeflimmer ins Weben des Mondes. Da waren sie und fielen nieder." Das ist der Schluss der Geschichte von "Joseph und seinen Brüdern", wie Thomas Mann sie erzählt. Den Stoff zu seinem Romanwerk hat er der Bibel entnommen. Josef ist der der Liebling des Vaters mit dem leuchtend-bunten Mantel. Seine älteren Brüder können nicht vertragen, wie der Kleine großtut. Sie werfen den Träumer in einen Brunnen. Dem Vater sagen sie, er sei tot. Jahre vergehen. Eine Hungersnot bricht aus. Die Brüder machen sich auf ins Nachbarland Ägypten, um Getreide zu kaufen. Was sie nicht wissen: Josef hat dort Karriere gemacht. Der Träumer konnte Träume deuten. Durch seine Begabung ist er Statthalter des Pharao geworden. Seine Brüder erkennen ihn nicht. Josef sorgt dafür, dass sie begreifen, wer er wirklich ist.
Da knieen sie vor ihm und sprechen: "Hier sind wir, Diener deines Vaters und deine Knechte. So vergib uns doch unsere Bosheit und vergilt uns nicht nach deiner Macht." "Brüder", antwortet Josef und umarmt sie, "was sagt ihr da auf? Als ob ihr euch fürchtet, ganz so redet ihr und wollt, dass ich euch vergebe. Bin ich denn Gott?...Soll ich Pharaos Macht, nur weil sie mein ist, brauchen, um mich zu rächen? … Ein Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand, der ist zum Lachen."
So erzählt Thomas Mann die Geschichte. Heute vor 150 Jahren ist er geboren. Seine Bücher wie "Die Buddenbrooks" oder "Der Zauberberg" sind bis heute Stoff für Filme.
1933, als er mit dem Josephsroman begann, beschäftigten ihn Themen wie Macht und Recht, Bosheit und Versöhnung. Seinen Joseph lässt er sagen: "Ein Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand, der ist zum Lachen." Da hat man die Möchtegerngroßen damals wie heute vor Augen.
Schrecklicherweise sind solche Männer nicht nur zum Lachen. Thomas Mann sah früh, was Hitler anrichten wird. Bereits im Oktober 1930, nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen von vier auf 18 Prozent zugelegt hatte, hielt Thomas Mann eine Rede in Berlin. Sein Sohn Klaus schreibt, "er habe dort das deutsche Bürgertum mit dringlichem Ernst ermahnt,… die Ideen der Demokratie endlich zu akzeptieren, auf dass die Schmach und (drohende) Katastrophe des Dritten Reiches verhütet werde". Der berühmte Dichter war vom Kaisertreuen zum Demokraten geworden.
Es wurde schnell zu gefährlich für ihn in Deutschland. So zog Thomas Mann mit seiner Frau 1933 in die Schweiz, suchte 1938 Exil in den USA. Was in Deutschland geschah, ließ er aber nicht aus den Augen. Spätestens seit 1940 begann er wieder, sich öffentlich einzumischen. Seine Reden an die deutschen Hörer wurden von der BBC ausgestrahlt.
1943, als er von der Bombardierung seiner Heimatstadt Lübeck erfährt, ist seine Hoffnung größer als der Schmerz. Er hofft auf den Zusammenbruch der Hitler-Tyrannei. Die Bomben auf Hamburg oder Dresden versteht er als britische Antwort auf die Zerstörung von Coventry.
Die deutsche Luftwaffe hatte die englische Stadt in Schutt und Asche gelegt. In den Trümmern der Kathedrale findet der damalige Dompropst drei Zimmermannsnägel. Er setzt sie zu einem Kreuz zusammen und lässt die Worte "Vater vergib" auf die Wand dahinter schreiben. Kopien dieses Nagelkreuzes hängen inzwischen in 63 Kirchen in Deutschland. Sie haben sich der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft angeschlossen. Freitag mittags um 12 wird dort die Versöhnungslitanei gebetet:
"Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse: Vater, vergib.
Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist: Vater, vergib.
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge: Vater, vergib."
Denn wir sind es nicht, die vergeben können. "Bin ich denn Gott?", fragt Joseph bei Thomas Mann. Vergebung ist Gottes Sache. Das gilt damals wie heute zwischen Coventry und Dresden, Moskau, Kiew und Washington, Berlin, Israel und Gaza.
Es gilt das gesprochene Wort.
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